Interview

„Auch Bosch war mal ein kleines Start-up“

Auch eine so etablierte und weit über Deutschlands Grenzen hinaus erfolgreiche Wirtschaft wie im Südwesten benötigt Start-ups und mutige Firmengründer. Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hat den Aufbau einer regen Gründerszene deshalb zur Chefsache erklärt. Benjamin Wagener hat mit der Politikerin, die den diesjährigen Gründerpreis von Schwäbisch Media als Laudatorin unterstützt, gesprochen und sie gefragt, warum junge Unternehmen für das Prosperieren einer Wirtschaftsregion so wichtig sind.

Frau Ministerin, hat Baden-Württemberg genügend Start-ups?


Wenn man nur auf die Zahlen schaut, spielt der Südwesten bei Start-ups im Moment keine bedeutende Rolle, wie ich es mir wünsche. Das gibt mir natürlich zu denken.

Was sind die Gründe dafür?

Das liegt nicht zuletzt an der starken industriellen Basis. Unsere Wirtschaft läuft sehr gut – da gibt es viele Chancen, spannende Perspektiven als Angestellter zu verwirklichen. Es ist jetzt die Aufgabe des Landes, Förderinitiativen auf den Weg zu bringen, um mehr Menschen zu motivieren, sich
selbstständig zu machen.

Warum braucht Baden-Württemberg überhaupt Start-ups?

Gründer sind der Nukleus unserer erfolgreichen wirtschaftlichen Situation. Tüftler und Entwickler – nicht nur unsere Großen wie Carl Benz oder Robert Bosch – haben den Grundstein gelegt für viele mittelständische oder große Unternehmen, die heute in der vierten, fünften Generation geführt werden. Das waren alle mal kleine Start-ups, die eine revolutionäre Idee hatten, diese in ein Produkt gepackt und das Produkt dann auf den Markt gebracht haben. Eine rege Gründerszene ist Garant für eine zukunftsträchtige Entwicklung einer Region.

Baden-Württemberg braucht also revolutionäre Ideen...

Genau. Schließlich entsteht durch die Digitalisierung eine ganz andere Dynamik. Der Druck auf viele klassische Branchen – sei es durch Uber in der Mobilität oder Airbnb im Hotelgewerbe – wird immer größer. Man muss das Wissen aus anderen Bereichen viel stärker in die eigenen Branchen einfließen lassen. Im Silicon Valley, in Israel geschieht das schon. Da werden neue Technologien entwickelt, die auch hier traditionelle Geschäftsmodelle umkrempeln werden. Da müssen wir mitspielen.

Wollen Sie nur etablierte Konzerne auf ihrem Innovationsweg unterstützen oder sollen auch neue Unternehmen entstehen, die die alten verdrängen?

Es geht um beides: Wir wollen die „Old Economy“ zukunftsfähig machen und gleichzeitig junge Firmen mit neuen, innovativen Ideen etablieren helfen. Unternehmen wie Google und Amazon sind noch nicht alt, haben aber in kurzer Zeit eine enorme Marktmacht aufgebaut.

Das nächste Google soll also gefälligst in Baden-Württemberg entstehen – und nicht irgendwo anders auf der Welt.

So ist es. Zumindest müssen wir für solche Ansiedlungen oder Gründungen attraktiver werden. Im Moment entsteht im Hightech- oder Software-Bereich vieles eben nicht bei uns. Darauf müssen wir aber unseren Fokus legen. Noch wichtiger ist die Zukunft der Mobilität – da drängen immer neue Spieler in den Markt. Wir müssen die Industrie unterstützen, dass das Auto noch einmal hier bei uns neu erfunden wird.

Werden also Nerds mit Laptops den Mercedes noch einmal erdenken?

Nein, jedenfalls nicht allein. Denn Start-ups brauchen Partner, um ihre Ideen weiterzuentwickeln – und genau dieses Potenzial haben wir in Baden-Württemberg, und das müssen wir mehr in den Vordergrund stellen. Start-ups brauchen Hilfe, was Vertriebsstrukturen, was Kundenstrukturen angeht. Ein
Beispiel ist GreenIQ, ein Start-up aus Israel für vernetzte Gartenprodukte, an dem inzwischen Stihl beteiligt ist. Ohne einen Partner hätte sich diese Firma nicht weiterentwickeln können.

In welchen Branchen brauchen wir mehr Start-ups?

Im Maschinenbau, der zu unseren Kernkompetenzen gehört. Dann natürlich in der Autoindustrie. Die Mobilität wird gerade neu gedacht, das Produkt Auto entwickelt sich hin zur Dienstleistung Mobilität. Aber ich denke auch an die Bauwirtschaft, an die Finanzbranche, an die Pharmaindustrie, die
Medizintechnik. Alle diese Branchen verändern sich durch die Digitalisierung grundlegend.

Gibt es das ominöse Generation-Y-Problem, dass nämlich jüngere Menschen gar keine Lust haben, ein Unternehmen zu gründen und Verantwortung zu übernehmen, sondern lieber einen Acht-Stunden-Tag wollen, um den Rest der Zeit mit der Familie zu verbringen?

Fakt ist, dass viele Berufsanfänger oder Jüngere im Berufsleben heute Wert auf Sicherheit und eine ausgewogene Work-Life-Balance legen. Zudem möchten viele lieber im öffentlichen Dienst oder bei großen Unternehmen arbeiten als in kleineren Unternehmen oder Start-ups. Auf der anderen Seite haben wir in unseren großen Industrieunternehmen derzeit einen großen Bedarf an Fachkräften. Diese Jobs versprechen natürlich eine gewisse Sicherheit, und sie werden nachgefragt. Man muss das auch vor dem Hintergrund sehen, dass durch E-Mail, Handy und WhatsApp Informationen intensiver auf jeden einströmen und sich Arbeitswelt und private Welt vermischen. Als Selbständiger kann man hier sicher noch weniger das eine vom anderen trennen.

Wie können Sie da gegensteuern?

Wir starten gezielt Finanzierungsprogramme. Damit wollen wir Ideen in ihrer Entstehungsphase unterstützen und ein unkompliziertes Angebot schaffen, bei dem das Risiko überschaubar ist. Wir fördern in der Breite, dabei ist klar, dass es nicht alle schaffen werden. Tun wir das aber nicht, bringen wir die Start-ups, die eine Zukunftsperspektive haben, nicht so weit, dass sie in eine weitere Finanzierungsphase eintreten können.

Nicht alle Start-ups werden es schaffen, ist es vielleicht diese Gefahr, die Gründer zögern lässt? Es wird immer wieder kritisiert, dass es hier keine Kultur des Scheiterns gibt, dass Leute, die eine Idee in den Sand setzen, verbrannt sind.

Das ist ein Thema, ja. In Israel beispielsweise wird Menschen vermittelt, dass es großartig ist, dass sie sich überhaupt trauen. Erfahrene Venture-Capital-Investoren bauen auch darauf, dass Gründer neben ihrer Idee Erfahrungen mitbringen – und dazu gehört auch das Scheitern. Ein zweiter Punkt ist, dass wir in Baden-Württemberg in vielen Bereichen auch Perfektionisten sind. Israelis fangen an, wenn sie 50 Prozent der Informationen haben. Und dann wird nachjustiert. Wir wollen bis ins letzte Detail Planungssicherheit haben. Da müssen wir mutiger werden.

Die Vernetzung der Protagonisten ist eine Sache, die kompetente Beratung eine andere – Gründer brauchen aber am meisten eine Finanzierung, die ihre Ideen absichert. Was tut Baden-Württemberg da?

Gerade haben wir eine Konzept zur Mikrofinanzierung ins Leben gerufen, mit dem Gründer mit einem Kapitalbedarf von weniger als 25 000 Euro sich um Kapital bewerben und gleichzeitig ihre Idee am Markt bei potenziellen Kunden prüfen können. Dazu kommt ein Risikokapitalfonds der Landesregierung,
der gezielt Ideen aus Baden-Württemberg fördern soll. Weitere Maßnahmen werde ich beim Gründergipfel am 14. Juli vorstellen.

Das Gespräch führte Benjamin Wagener.

Quelle:

Das Interview erschien am 1. Juni 2017 in der Schwäbischen Zeitung.
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