Interview

Digitalisierung ist für uns Chefsache

Die grün-schwarze Landesregierung hat seit ihrem Start viele Initiativen zugunsten der Unternehmen auf den Weg gebracht, so Wirtschaftsministerin Dr.Nicole Hoffmeister-Kraut im Interview mit Magazin Wirtschaft und dem Kornwestheimer Unternehmer Albrecht Kruse. Beispiele sind der digitale Wandel und die Beschäftigung von Flüchtlingen.

Seit Mai führt Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut das Wirtschaftsministerium von Baden-Württemberg - nun wieder als eigenständiges Ressort, nachdem es unter Grün-Rot als „Superministerium“ mit den Finanzen zusammengelegt war. Die 44-jährige Mutter dreier Kinder engagiert sich vielfach sozial und ist selbst Unternehmerin. Als Gesellschafterin des Balinger Waagenherstellers Bizerba saß sie bis zu ihrem Amtsantritt im Aufsichtsrat des Unternehmens.

Magazin Wirtschaft Frau Dr. Hoffmeister-Kraut, Sie sind eine der wenigen Unternehmerinnen in der Politik. Warum, glauben Sie, gibt es nicht mehr davon?

Hoffmeister-Kraut Das mag viele Gründe haben. Aktive Unternehmerinnen und Unternehmer haben täglich eine große Aufgabenvielfalt und viel Verantwortung für das Unternehmen und die Beschäftigten. Das ist sehr zeitintensiv. Um in die Politik zu wechseln, müssten sie also eine Zeit lang aussteigen und
ihr Unternehmen gleichzeitig in guten Händen wissen. Das kann durchaus schwierig sein. Einfacher ist ein Einstieg in die Politik also vielleicht, wenn man etwa Angestellter oder Beamter in der öffentlichen Verwaltung oder Lehrer ist, zumal es ja ein Rückkehrrecht dorthin gibt. Es mag aber noch einen anderen Aspekt geben: In der Politik muss man immer Mehrheitsentscheidungen treffen. Das ist ein anderer Weg, als es Unternehmer gewohnt sind. Sie entscheiden oft schneller und dann allein.

Magazin Wirtschaft Es war ja ein Wunsch der CDU, das Wirtschaftsressort wieder als eigenes Ministerium zu führen. Welchen Gestaltungsspielraum hat man als Wirtschaftsministerin eines Bundeslandes überhaupt?

Hoffmeister-Kraut Wir können als Land Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen erfolgreich sein können. Dafür haben wir vielfältige Ansatzpunkte. Ein großes Zukunftsthema ist die Fachkräftesicherung. Als Land können wir bei Bildung, Ausbildung und Weiterbildung gemeinsam mit anderen Akteuren gezielte Maßnahmen und Programme entwickeln, die dem Bedarf hier gerecht werden - auch für die Digitalisierung in der Wirtschaft sind wir zuständig – eine große Herausforderung, gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen, die wir zielgerichtet beim Thema Wirtschaft 4.0 und Arbeit 4.0 unterstützen. Zudem ist die gesamte Gründerszene im Wirtschaftsministerium angedockt. Neben den Gründerzentren wollen wir jetzt ein Gründernetzwerk ins Leben rufen, um die bestehenden Initiativen zu verbinden. Andere wichtige Aufgaben sind Innovationsförderung und Technologietransfer. Unter anderem sind wir für die Fraunhofer-Institute und Institute der Innovationsallianz zuständig, die mit kleinen und mittleren Unternehmen im Land gut und fruchtbar zusammenarbeiten.

Magazin Wirtschaft Die großen Weichen werden aber in Berlin oder Brüssel gestellt.

Hoffmeister-Kraut Natürlich werden die großen Rahmenbedingungen - wie Steuerpolitik, Verkehrspolitik, Arbeitsgesetzgebung - auf Bundesebene oder europäischer Ebene entschieden, aber auch da nehmen wir gezielt Einfluss und vertreten die Position Baden-Württembergs. Genauso wie wir die Belange der
Wirtschaft innerhalb der Landesregierung vertreten, zum Beispiel bei Initiativen des Verkehrs- oder des Umweltministeriums. Aktuell gestalten wir gemeinsam mit dem Kultusministerium den geplanten Informatikunterricht.

Magazin Wirtschaft Voraussetzung für die Digitalisierung der Wirtschaft ist eine gute Breitbandversorgung. Die grün-rote Vorgängerregierung hat Förderprogramme zur Verbesserung der Infrastruktur aufgelegt. Müsste man aber nicht viel mehr Geld in die Hand nehmen?

Hoffmeister-Kraut Das wird ja jetzt getan. Wir haben eine Digitalisierungsoffensive gestartet und der stellvertretende Ministerpräsident Thomas Strobl hat die Digitalisierung zur Chefsache erklärt. Allein 2016 stellen wir Mittel in Höhe von 51 Millionen Euro zur Verfügung. 2015, noch unter der Verantwortung der alten Regierung, waren es erst 30 Millionen. Die Kommunen haben jetzt die Möglichkeit, ihreBreitbandnetze mit Hilfe von Bundes- und Landesmitteln massiv auszubauen.

Kruse Sehen Sie ein Risiko, dass das Vectoring, also die Ertüchtigung bestehender Kupfernetze, zu einer Wettbewerbsverzerrung führt?

Hoffmeister-Kraut Der Breitbandausbau der investierenden Netzbetreiber ist heute grundsätzlich ein Glasfaserausbau. Vollständig neu aufgebaute Netze sind Glasfasernetze, zum Beispiel in neuen Gewerbegebieten. In den bestehenden Netzen werden ältere Netzelemente sukzessive durch Glasfaser ersetzt. Die Glasfaser wird somit immer näher an die Haushalte gebracht. Ziel ist es, auch die letzten Meter Kupferleitung in die Haushalte schrittweise durch Glasfasern zu ersetzen. Dies ist allerdings mittelfristig für den Massenmarkt wirtschaftlich nicht darstellbar. Um dennoch heute schon hohe Bandbreiten, die durch den Glasfaserausbau bis zu den letzten Verteilpunkten möglich geworden sind, anbieten zu können, werden z.B. im DSL-Netz der Deutschen Telekom auf den letzten Metern Kupferleitung Brückentechnologien, wie das Vectoring, eingesetzt. Eine Wettbewerbsverzerrung durch den Einsatz der Vectoring-Technik sehe ich nicht; die kürzlich mit breiter Zustimmung der Länder getroffene Vectoring-Entscheidung der Bundesnetzagentur hat den Gesichtspunkt der Wettbewerbssicherung angemessen berücksichtigt.

Magazin Wirtschaft Sind die kleinen und mittleren Unternehmen gut vorbereitet auf den digitalen Wandel?

Hoffmeister-Kraut Das muss man differenziert und auch branchenbezogen betrachten. Aber insgesamt ist Baden-Württemberg im Bundesvergleich gut aufgestellt. In der Industrie ist die Entwicklung schon weit vorangeschritten, und auch viele kleine und mittlere Unternehmen haben hohe Kompetenz in
diesem Bereich. Aber es gibt auch noch viele - gerade KMU -, die bislang kaum auf das Internet und digitale Technologien setzen. Die Investitionen müssen sich letztlich bezahlt machen. Da werden die großen Effekte aber erst im letzten Schritt kommen, wenn die einzelnen Produktionsprozesse wirklich vollständig miteinander vernetzt sind. Immerhin ist schon jetzt erkennbar, dass wir wirklich große Effizienzgewinne erzielen werden. Mit den von uns geförderten Digitallotsen oder dem Aufbau einer branchenübergreifenden Initiative „Wirtschaft 4.0“ unterstützen wir gerade die KMU auf dem Weg zur Digitalisierung.

Magazin Wirtschaft
Bleiben wir bei der Industrie. Wie sehen Sie die Situation in der Autozuliefererbranche, der eine Studie kürzlich einen starken Rückstand bei der Digitalisierung bescheinigt hat?

Hoffmeister-Kraut Auch diese Branche profitiert von unseren Projekten, mit denen wir die Unternehmen unterstützen. Die von uns ins Leben gerufene „Allianz Industrie 4.0,“, ein Kreis von 56 Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft ist hier an ganz konkreten Maßnahmen dran: zum Beispiel
die 16 Lernfabriken an beruflichen Schulen, mit denen wir Fach- und Nachwuchskräfte ideal auf die Anforderungen der Industrie 4.0 vorbereiten. Wir investieren auch in ein großes Applikationszentrum für Industrie 4.0 und in regionale Transferzentren der Hochschulen mit angewandten Forschungseinrichtungen und der Steinbeis-Stiftung, um KMU Orientierung für eigene Wege zur Industrie 4.0 zu geben.

Magazin Wirtschaft Viele Unternehmen im Land, auch kleine und mittlere, sind exportorientiert und verfolgen die Stolperpartie um die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP mit Fassungslosigkeit. Haben die Verträge noch eine Chance?

Hoffmeister-Kraut Als Wirtschaftsministerin kann ich nur dafür plädieren, dass wir Freihandelsabkommen schließen - mit Kanada und auch mit den USA. Baden-Württemberg lebt vom Export und von intakten Außenhandelsbeziehungen. TTIP in dieser Form wird wohl nur sehr schwer durchsetzbar sein, hier wird es unter der neuen US-Regierung von beiden Seiten einen neuen Anlauf geben müssen. Die Blockade bei Ceta, wie sie sich gezeigt und dann doch noch aufgelöst hat, war bedauerlich. Es wäre ein ganz und gar negatives Signal für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union,  wenn ein Abkommen über sieben Jahre ausverhandelt wird, zum Schluss beide Seiten damit zufrieden sind und es dann trotzdem nicht abgeschlossen werden kann. Hoffen wir also, dass wir Ceta über die Ziellinie bringen können.

Kruse Manchmal wird in diesem Zusammenhang ja eine stärkere Bürgerbeteiligung gefordert. Sehen Sie dies bei derart komplexen Themen als sinnvoll an?

Hoffmeister-Kraut
Bürgerbeteiligung finde ich in vielen Bereichen richtig und wichtig. Aber man muss sich schon den einzelnen Fall ansehen: Um alle wichtigen Aspekte eines hochkomplexen Handelsabkommens wie Ceta zu vermitteln, wäre der Informationsbedarf riesig, um das Thema komplett zu erfassen
und versiert abstimmen zu können. Das ist bei einem solchen Thema kaum leistbar. Wir haben eine repräsentative Demokratie, die sehr gut funktioniert. Ihr Prinzip ist auch, sich auf die Menschen zu verlassen, die sich stellvertretend für die anderen intensivst mit einem Thema befasst haben, denen die nötigen Informationen vorliegen und die letztlich über ein Thema abstimmen können.

Magazin Wirtschaft
Immer wieder wird betont, wie wichtig es ist, Flüchtlinge in das Arbeitsleben zu integrieren. Die Unternehmen versuchen das, stoßen aber schnell an Grenzen. Müsste nicht zuerst viel mehr geschehen, um Flüchtlinge überhaupt beschäftigungsfähig zu machen?

Hoffmeister-Kraut Da geschieht sehr viel. Wir haben dieses Jahr 14 500 Menschen in Arbeit gebracht, überwiegend in Helfertätigkeiten, meist in Gastronomie, Landwirtschaft oder auf dem Bau, wo ja auch Bedarf besteht. Bei den knapp 600 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen sehen wir noch Potenzial nach oben. Das A und O ist der Erwerb der deutschen Sprache. Wir haben im Land zur Integration von Geflüchteten in Ausbildung und Beschäftigung ein vierstufiges Gesamtkonzept entwickelt, das mit Spracherwerb, Berufsorientierung, Betreuung und Vermittlung sowie Stabilisierung alle Maßnahmen stimmig miteinander verzahnt. Eine Initiative etwa ist das vom Wirtschaftsministerium ins Leben gerufene Programm „Pro Beruf“ für Flüchtlinge, das junge Leute in überbetrieblichen Bildungsstätten schult. Zum anderen haben wir, auch in Kooperation mit den IHKs, flächendeckend im Land die Kümmerer eingesetzt.
Sie identifizieren die für eine Ausbildung geeigneten Flüchtlinge, unterstützen sie bei der Berufswahl, vermitteln sie in Praktika und Ausbildung, und sie sind gleichzeitig Ansprechpartner für die Betriebe.

Kruse Wenn man Flüchtlinge für die Ausbildung gewinnen will, ist es da nicht kontraproduktiv, wenn seitens der Gewerkschaften eine Entlohnung auf Basistarif gefordert und den Flüchtlingen damit eine auf den ersten Blick attraktivere Einkommensmöglichkeit vorgegaukelt wird?

Hoffmeister-Kraut Die Gewerkschaften argumentieren natürlich, dass ihren Mitgliedern Nachteile entstehen und gegebenenfalls Arbeitsplätze weggenommen würden, wenn man in der Entlohnung Unterschiede macht. Die betriebliche Einstiegsqualifizierung erlaubt Arbeitgebern aber schon heute, Flüchtlinge unterhalb des Mindestlohns von 8,50 Euro bis zu 12 Monate zu beschäftigen.

Magazin Wirtschaft
Sind die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien erreichbar, angesichts schleppender Genehmigungsverfahren für Anlagen und Leitungen? Können sich die Unternehmen darauf verlassen, dass Energie bezahlbar bleibt?

Hoffmeister-Kraut Die Landesregierung hat sich klar zur Energiewende bekannt. Zum anderen gilt: Die Energieversorgung muss sicher, bezahlbar und zukunftsfähig sein. Diese wichtigen Voraussetzungen müssen wir immer im Blick haben. 2017 steht eine Erhöhung der EEG-Umlage von rund 6,3 auf gut 6,8 Cent pro Kilowattstunde an, andererseits wurde das Gesetz im Bund neu geregelt: Die Verfahren werden jetzt ausgeschrieben. Wir müssen sehen, wie diese Reform in der Praxis wirkt.

Magazin Wirtschaft
Für Infrastruktur, Flüchtlinge, Energiewende sind hohe Investitionen notwendig, aber schon jetzt schafft das Land bei Rekordeinnahmen gerade mal die Schwarze Null. Sehen Sie als Unternehmerin darin eine nachhaltige Haushaltspolitik?

Hoffmeister-Kraut
In der neuen Landesregierung haben wir uns zum Ziel gesetzt, einen soliden Haushalt aufzustellen. Der erste Schritt ist getan und der nächste wird folgen. Wir haben ab 2020 die Schuldenbremse, und die wird eingehalten, das ist unser großes Ziel. Wir haben Sparmaßnahmen eingeleitet, auch in meinem Haus. Für uns als CDU war es Bedingung, dass dieses Thema an erster Stelle steht, denn wir stehen für solide Finanzen. Gleichzeitig müssen wir in Humankapital, also die Fachkräftesicherung, und auch in die Innovationsfähigkeit investieren. Das tun wir.

Kruse
Mit der Reform des Länderfinanzausgleichs scheinen jetzt tatsächlich alle zufrieden zu sein. Sehen auch Sie darin ein zukunftsfähiges Modell?

Hoffmeister-Kraut
Aus heutiger Sicht hat man hier einen tragfähigen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen gefunden. Auch hier müssen wir sehen, wie er wirkt.

Quelle:

Das Interview erschien in der Ausgabe 12.16 Magazin Wirtschaft der IHK Region Stuttgart.
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