Wirtschaftsstandort

Kooperation zahlt sich aus

Gemeinsames Ziel von Politik und Wirtschaft muss es sein, Baden-Württemberg als eine der wichtigsten Entwicklungs- und Produktionsregionen im Bereich der elektrifizierten und digitalisierten Mobilität zu positionieren, sagte Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Bodensee.
 
Frau Dr. Hoffmeister-Kraut, bisher waren Sie vor allem unternehmerisch tätig, nun gestalten Sie als Landesministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau von Baden-Württemberg die Politik in einem erheblichen Maße mit. Welche Herausforderungen hält das Amt für Sie persönlich bereit und welche Ziele haben Sie sich gesetzt?


Wir haben viel vor in den kommenden Jahren. Dabei schadet es nicht, dass ich weiß, wie die Wirtschaft tickt, wie die Realität in den Unternehmen aussieht, wo die Probleme liegen. Unsere Spitzenstellung als Innovationsregion Nummer eins in Europa müssen wir weiter ausbauen und langfristig sichern. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Hier müssen wir als Land vor allem dem Mittelstand, den kleinen und mittleren Unternehmen zur Seite stehen, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitnehmen. All das verbirgt sich hinter den Stichworten Wirtschaft 4.0/Arbeit 4.0. Weitere Ziele sind die  Fachkräftesicherung, der Ausbau der Gründerkultur und die schnelle Schaffung bezahlbaren Wohnraums.

Sie werben dafür, dass sich Europa gemeinsam in Position bringen soll, um auch zukünftig als wettbewerbsfähiger Standort aufgestellt zu sein. Die Zusammenarbeit in der EU/Europa scheint momentan schwieriger denn je. Wie kann die Vierländerregion Bodensee als Musterregion für eine internationale Zusammenarbeit dienen?

In der Tat bin ich - trotz mancher Schwierigkeiten und Rückschläge - zutiefst davon überzeugt, dass es nur im europäischen Verbund gelingt, handelspolitische Interessen weltweit mit entsprechendem Nachdruck zu artikulieren. Gemeinsam ist man letztlich stärker, trotz aller Konkurrenz auch zwischen Partnern. Um gegenüber den USA oder China bzw. Asien insgesamt nicht an Gewicht zu verlieren, bin ich dafür, auch nach einem etwaigen Ausscheiden Großbritanniens aus der EU das Inselreich möglichst weitgehend einzubinden. Die Zusammenarbeit der Vierländerregion am Bodensee kann dabei in Teilen durchaus Vorbildfunktion haben. Denn zur Vierländerregion gehören mit den Schweizer Kantonen ebenfalls Gebiete, die nicht Mitglied der EU, aber durch bilaterale Verträge verbunden sind. Auch das Fürstentum Liechtenstein ist über den Europäischen Wirtschaftsraum mit der EU verzahnt. In der Vierländerregion und der Internationalen Bodensee  Konferenz IBK arbeiten wirtschaftspolitisch starke Regionen in konkreten Projekten an gemeinsamen Zielen eng zusammen - diese Art der Kooperation ist für die Wettbewerbsfähigkeit in ganz Europa sicherlich vorbildhaft. Kooperation zahlt sich aus, das ist ja auch ökonomisch erwiesen.

Wohnraum und Landreserven am baden-württembergischen Bodensee sind rar, der aktuelle Bedarf nach Wohnraum und Gewerbeflächen aber ist groß. Wie beurteilen Sie die Situation auch im Hinblick auf künftige Entwicklungen?

Nicht nur am Bodensee, in vielen Teilen des Landes besteht Bedarf, ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das wird mehr und mehr zu einer Frage des sozialen Zusammenhalts, aber auch zum Standortfaktor. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sich Gewerbebetriebe erweitern oder neu ansiedeln können. Hierfür braucht es − bedarfsgerecht − geeignete und auch verfügbare Flächen. Konsequente Innenentwicklung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Daher unterstützen wir die Städte und Gemeinden bei der Aktivierung ihrer Entwicklungspotenziale im Innenbereich, beispielsweise mit dem Förderprogramm „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“. Auf lange Sicht gilt es vor allem, effizient und nachhaltig mit unseren bestehenden Siedlungs- und Infrastrukturen umzugehen und diese zukunftsfähig weiterzuentwickeln.

Das Thema Elektromobilität und automatisiertes Fahren rückt im Autoland Baden-Württemberg immer stärker in den Fokus, auch etliche Unternehmen in der Bodenseeregion sind in dieser Branche tätig. Erste Stimmen einer „Autowende“ werden laut. Wie kann eine solche „Wende“ gelingen?

In der Automobilindustrie gibt es durch Elektrifizierung und Digitalisierung einen sich beschleunigenden und tiefgreifenden Technologie- und Strukturwandel, der deutschlandweit Auswirkungen auf etwa jeden dritten Zulieferer hat. Baden-Württemberg hat durch seine traditionell gewachsenen Strukturen und seine besondere Unternehmenslandschaft – unterstützt durch exzellente Forschungs- und Hochschuleinrichtungen – die besten Voraussetzungen, auch zukünftig eine weltweit führende Rolle im Fahrzeug- und Mobilitätssektor einzunehmen. Wir dürfen uns aber nicht auf Erfolgen der Vergangenheit oder der aktuell guten Wirtschafts- und Beschäftigungslage ausruhen. Um die Innovations- und Wachstumschancen zukünftiger Mobilitätsformen nutzen zu können, müssen unsere Unternehmen ihre traditionellen Geschäftsmodelle reformieren, Technologiekompetenzen gezielt ausbauen und Strategien systematisch anpassen. Unser gemeinsames Ziel von Politik und Wirtschaft muss es sein, Baden-Württemberg als eine der wichtigsten Entwicklungs- und Produktionsregionen im Bereich der elektrifizierten und digitalisierten Mobilität zu positionieren. Ich bin dankbar, dass die IBK das Thema Elektromobilität aufgreift, zuletzt im September mit einem großen Kongress durch den Kanton Zürich. Denn der Verkehr macht nicht an der Grenze halt, Veränderungen müssen direkt in größeren Zusammenhängen mitgedacht werden.

„Industrie 4.0“ ist in aller Munde. Wie wird sich die „vierte industrielle Revolution“ auf die Regionalstruktur der Wirtschaft auswirken und können auch Regionen abseits der großen Wirtschaftszentren davon profitieren?

Unser Vorteil in Baden-Württemberg besteht darin, dass wir mit unserer Wirtschaftsstärke auch dezentral sehr gut aufgestellt sind. Wir haben überall in der Fläche des Landes unsere sogenannten Hidden Champions sitzen. Ich bin daher überzeugt, dass unsere Unternehmen durch ihre Innovationskraft auch in Zukunft wichtige Akteure auf den Weltmärkten  sein werden. Unsere Leader sind ein starke Maschinen- und Anlagenbau, die hervorragende Elektrotechnik-Industrie und weltweit führende Anbieter von Unternehmenssoftware. Durch die Nähe zu führenden Industrie 4.0-Anbietern profitieren auch die produzierenden Unternehmen in der Wirtschaftsregion Bodensee und werden künftig immer enger in digital vernetzte Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden. Auch viele junge Start-ups, beispielsweise aus dem Bereich innovativer Informations- und Kommunikationstechnik, mit ganz neuen Geschäftsmodellen werden entstehen. Natürlich braucht die intelligente Fabrik der Zukunft ein optimales Zusammenspiel von Mensch, Technik und Organisation. Mit den von uns geförderten Lernfabriken 4.0 können wir das abstrakte Konzept der Industrie 4.0 greifbar machen. In der Bodenseeregion werden die Gewerbeschule Singen und die Elektronikschule Tettnang solche Lernfabriken einrichten. Ein weiteres Beispiel ist das von der IBK begleitete Bodenseezentrum Innovation 4.0, das insbesondere den Mittelstand beim Thema Digitalisierung unterstützen soll. Die Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung als Koordinator dieser Aktivitäten hat bereits ein beeindruckendes Netzwerk aufgebaut und verstärkt dieses nun noch über das Knowhow der Hochschulen rund um den See.

Die Schweiz ist für Baden-Württemberg ein wichtiger Handelspartner. Für den Landkreis und die Stadt Konstanz bedeutet das Chancen, gleichzeitig aber auch Herausforderungen, die innerhalb Baden-Württembergs eine Sonderstellung einnehmen. Wie kann man dem im Wirtschaftsministerium gerecht werden?

Baden-Württemberg ist ein erfolgreiches Exportland. Das gilt umso mehr für die Bodenseeregion, die Beschäftigung und Wohlstand wesentlich ihrer Weltoffenheit verdankt. Die Schweiz ist mit einem Handelsvolumen in Höhe von zuletzt 13,4 Milliarden Euro im Jahr 2015 einer der wichtigsten Handelspartner unseres Landes. Daher ist die Zusammenarbeit mit der Schweiz ein europapolitischer Schwerpunkt der Landesregierung. Unser Ziel ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe, die Modellcharakter für Europa hat. Dabei müssen auch Streitfragen lösungsorientiert angesprochen werden. Das Land unterstreicht diesen Willen mit einer eigens entwickelten Schweiz-Strategie. Viele Anliegen gegenüber der Schweizer Seite teilen wir mit unseren französischen und österreichischen Nachbarn, weswegen wir hier auch Kräfte und Kanäle bündeln. Dazu gehören zum Beispiel die IBK, die deutsch-schweizerisch-österreichische Arbeitsgruppe zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs oder die deutsch-französisch-schweizerische Regierungskommission Oberrhein. Solche von uns unterstützten Foren und Gremien tragen dazu bei, konkrete Fortschritte vor Ort im bilateralen Handel mit der Schweiz zu erreichen. Als Erfolge für den grenznahen Mittelstand und das Handwerk verbuchen wir etwa Verbesserungen bei der Lohnumrechnung, der Regeltransparenz und der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen bei Aufträgen in der Schweiz. Unsere Zusammenarbeit ist manchmal mehr ein Marathon als ein Spaziergang, aber jede erreichte Etappe kann helfen, Arbeitsplätze und Einnahmen im Bodenseeraum zu sichern.

Wegen der Erstattung der Mehrwertsteuer bei Einkäufen Schweizer Kunden in Deutschland auch bei kleinen Beträgen kommt es in grenznahen Städten wie Konstanz zu langen Wartezeiten sowohl in den Geschäften als auch beim Zoll. Bisherige Vorschläge waren die Einführung einer Bagatellgrenze oder elektronische Ausfuhrzettel. Wie könnte aus Ihrer Sicht eine Lösung aussehen?

Der Höhenflug des Schweizer Franken infolge der Entkopplung vom Euro hat unseren grenznahen Einzelhändlern im vergangenen Jahr gute Umsätze beschert. Das ist zunächst einmal zu begrüßen. Ich habe gleichwohl Verständnis dafür, wenn darauf hingewiesen wird, dass der Einkaufstourismus vor Ort vereinzelt auch zu Unannehmlichkeiten führt. Der Bundesrat hat im März 2016 die Bundesregierung aufgefordert, eine Bagatellgrenze von mindestens 50 Euro einzuführen. Der Ball liegt jetzt also beim Bund. Eine Bagatellgrenze kann aber nur die Symptome bekämpfen. Um an der eigentlichen Ursache etwas zu ändern, müssten vielmehr die schweizerischen Anbieter sich noch an das neue monetäre Umfeld anpassen. Dieser Prozess ist in vollem Gange. So beobachtet die IHK Hochrhein-Bodensee in ihrer Herbstumfrage sinkende Umsatzerwartungen der Branche. Eine Erklärung ist, dass die Schweizer Wettbewerber preislich nachgebessert haben und deutsche Anbieter in der Schweiz ihr Filialnetz ausbauen. Angebot und Nachfrage nähern sich nach dem Währungsschock also wieder dem Ausgangsniveau an.

Das Gespräch führte Holger Braumann.

Quelle:

Das Interview erschien in der Ausgabe Nr. 14 im Wirtschaftsmagazin Bodensee 2017.
// //