Interview

"Stärker für duale Ausbildung begeistern"

Frau Ministerin, die Konjunktur brummt. Dennoch blicken Unternehmen sorgenvoll in die Zukunft, weil Fachkräfte fehlen oder der Ausbau des Breitbandnetzes zu langsam voranschreitet. Ist die Wirtschaft im Land zu ungeduldig?

Nein. Ich finde es gut, wenn die Wirtschaft mit Nachdruck dahintersteht, dass hier was passiert. Das Thema Fachkräftemangel verschärft sich durch die demografische Entwicklung. Das Land unternimmt hier jedoch sehr viel. Wir sind im Austausch mit Sozialpartnern, den Kammern und den Arbeitsagenturen,
um politisch alles dafür zu tun, auch die Fachkräfte für morgen sichern zu können.

Der Begriff Fachkräftemangel geistert seit Jahren durch die Medien: Sie kommen selbst aus der Wirtschaft, wie dramatisch ist es denn tatsächlich?


Viele Unternehmen im Land suchen in der Tat händeringend nach Fachkräften. Etwa in der Hotellerie, im Gaststättengewerbe, im Metzger- und Bäckerhandwerk, aber auch in technischen Berufen fehlen geeignete Bewerber. In den Schulen rücken wir daher das Thema Berufsorientierung stärker in den
Fokus. Ebenso besteht in der IT-Branche Bedarf, da brauchen wir mehr junge Frauen und Männer mit entsprechender Qualifikation. Deshalb ist von großer Wichtigkeit, das Fach Informatik in weiterführenden Schulen im kommenden Jahr einzuführen. Wir müssen die Jugend an die Digitalisierung der
Industrieproduktion verstärkt heranführen.

Immer mehr Schulabgänger wollen studieren. Ist das sinnvoll?

Um den Bedarf an Fachkräften zu sichern, ist es wichtig, mehr junge Menschen in die betriebliche Ausbildung zu bringen. Sie ist ein Erfolgsmodell, das es so nur in Deutschland gibt. Darum werden wir weltweit beneidet. Aus diesem Grund kann der Akademisierungsgrad hierzulande nicht mit dem des Auslands verglichen werden, weil es in vielen anderen Ländern diese Art der dualen Ausbildung gar nicht gibt. Das Kultusministerium will daher in allen Schularten junge Menschen wieder stärker für eine Ausbildung im dualen System begeistern. Wir schicken Ausbildungsbotschafter der Industrie- und Handelskammern an die Schulen. Wir wollen zudem die Eltern informieren. Senior-Ausbildungsbotschafter sollen bei Elternabenden die Mütter und Väter wieder für die duale Ausbildung begeistern. Denn die Eltern prägen zu einem großen Teil die Berufsentscheidung ihrer Kinder mit.

Was erhoffen Sie sich von der Aus- und Weiterbildung von Flüchtlingen?

Es muss alles unternommen werden, dieses Potenzial zu nutzen. Wichtig ist dabei vor allem, die deutsche Sprache zu beherrschen, um einer qualifizierten Arbeit nachgehen zu können oder eine Ausbildung zu beginnen. Die Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Eingliederung junger Flüchtlinge in die deutsche Arbeitswelt?

Wie gesagt, in der Sprache. Aber auch im Kennenlernen unserer Wirtschafts- und Lebensweise in Deutschland. Vieles ist Flüchtlingen nicht bewusst, sie haben häufig einen ganz anderen Hintergrund. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel.

Gerne.

In Syrien, woher sehr viele Flüchtlinge kommen, ist vieles stärker vom Staat reglementiert, bei uns herrscht mehr Meinungs- und Entscheidungsfreiheit. Wir müssen diese Menschen mitnehmen in unsere Kultur. Ich finde es ebenso wichtig, sie in unser Wertesystem einzubinden, ihnen zu sagen, welche Regeln hier einzuhalten sind. Das ist aber nur ein erster Schritt, der muss auf politischer Ebene geleistet werden. Genauso sind Unternehmen gefordert, Praktika- und Ausbildungsplätze bereitzustellen. Wir haben in diesem Jahr knapp 600 Menschen in Ausbildung gebracht.

Nur 600?

Das liegt an den noch mangelnden Sprachkenntnissen. Da erwarten wir in den nächsten Jahren eine wesentliche Steigerung. Das Wirtschaftsministerium finanziert zudem landesweit 46 sogenannte Kümmerer, die bei verschiedenen Trägern angegliedert sind. Sie helfen jungen Flüchtlingen unter anderem bei der Vermittlung von Praktikums- und Ausbildungsplätzen und sind gleichzeitig auch Ansprechpartner für die Betriebe.

Zu einem guten Arbeitsplatz gehört auch bezahlbarer Wohnraum. Was kann die Politik dazu beitragen?

Ich habe die Wohnraumallianz ins Leben gerufen, um genau das anzugehen. Wir gehen hier ohne Denkverbote in die Diskussion mit den Fachleuten und haben dazu Arbeitsgruppen gebildet. Eine der Aufgaben ist das Problem der fehlenden Flächen für den Wohnungsbau. Da gilt es, die Kommunen mit in die Pflicht zu nehmen.

Da müssen Sie aber dicke Bretter bohren. Die Kommunen sind doch sehr selbstbewusst, wenn es um ihre Hoheitsgebiete geht.

Die autonome Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden respektiere ich natürlich, weil ich überzeugt bin, dass dies ein funktionierendes System ist. Aber der Druck besteht ja gerade bei den Kommunen. Ich spüre da viel guten Willen, die kommunalen Spitzenverbände zeigen sich offen. Wir wollen
gemeinsam Lösungen finden, gemeinsam Verbesserungen angehen, das ist mein Ziel. Der zweite Schwerpunkt muss sein, die Baukosten zu senken, die Landesbauordnung muss da in einigen Punkten auf den Prüfstand gestellt werden. Als Drittes müssen die Verfahren beschleunigt werden. Und zum Vierten werden wir die Landeswohnraumförderung dahingehend anpassen, dass wir möglichst effizient fördern, mit einem Fokus auf dem sozialen Wohnungsbau.

Wie schnell können solche Programme greifen?

Wir haben uns im Juli das erste Mal getroffen, nun tagen die Arbeitskreise, die sind jetzt intensiv in der Abstimmung. Für den 8. Dezember ist das nächste Spitzengespräch terminiert. Ich habe allen als Ziel gesetzt, dass bis dahin konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen sollen. Nicht zu allen Bereichen, aber wir müssen schnell handeln. Der Wohnraum wird genau jetzt benötigt und nicht erst in fünf Jahren.

Aber Ihr Koalitionspartner hat doch in der vergangenen Legislaturperiode einige Vorschriften in die Landesbauordnung integriert, die nicht hilfreich sind, um rasch neuen Wohnraum zu schaffen.

Im Koalitionsvertrag steht, dass schnell Wohnraum geschaffen werden soll. Daher gilt für alle, entsprechende Entscheidungen mitzutragen. Wir werden die Themen ansprechen, ohne Denkverbote. Wenn man ein Problem gleich tabuisiert, dann kommen wir nicht weiter. Wir haben eine große Verantwortung den Menschen gegenüber. Die Landeswohnraumförderung wollen wir, so ist es von meinem Ministerium vorgeschlagen, nächstes Jahr von 205 auf 250 Millionen Euro erhöhen. Wir brauchen die Mittel jetzt so schnell wie möglich, wir brauchen Wohnraum so schnell wie möglich.

Für die Industrie im Land spielt der Ausbau des Breitbandnetzes in der Fläche eine entscheidende Rolle. Wie ist der aktuelle Stand?

Ziel ist eine flächendeckende Breitbandversorgung. Wir haben derzeit bei den Haushalten, in denen über das Festnetz 50 Megabit möglich sind, eine Abdeckung von 73 Prozent. Da ist natürlich noch Luft nach oben. Allerdings ist das mit enormen Investitionen verbunden und lässt sich nicht von heute auf morgen schultern. Wir setzen auf den Ausbau von Glasfasernetzen, was ich für richtig halte, da dies zukunftsfähig ist. Die Landesregierung wird die Breitbandverkabelung intensiv vorantreiben und dafür auch ausreichend Geld in die Hand nehmen.

Wie viel?

Die Digitalisierungsoffensive umfasst 325 Millionen Euro. Wir bauen damit schwerpunktmäßig die Breitbandinfrastruktur im Land aus, allein dieses Jahr fließen 51 Millionen Euro in den Ausbau. Wenn wir in die Welt hinausblicken: Südkorea zum Beispiel ist fast zu 100 Prozent mit einem Glasfasernetz
abgedeckt. Da gibt es durchaus Vorbilder, an denen wir uns messen lassen wollen. Das Problem ist erkannt, auch bei diesem Thema stehen wir im engen Austausch mit den Kommunen und den Kreisen.

Wenn man sich andere Länder anschaut, glänzt Baden-Württemberg nicht gerade mit Innovationen, was das Internet angeht.

Deshalb wollen wir, wie gesagt, die Digitalisierung vorantreiben. Das Thema ist erkannt, und das hat die CDU in den Koalitionsverhandlungen vorangetrieben. Aber wir müssen Prioritäten setzen. Vorrang hat für mich ganz klar, die Gewerbegebiete mit Breitband zu versorgen, um die Digitalisierung in der Industrie, im Handel und im Handwerk voranzutreiben. Nehmen Sie das Internet der Dinge oder Big Data. Das funktioniert
nicht, wenn die Infrastruktur dafür nicht vorhanden ist. Noch ein Wort zur Unternehmensnachfolge. In den nächsten Jahren stehen in rund 50 Prozent aller Firmen im Land altershalber Veränderungen an.

Aber vielerorts fehlen die Nachfolger. Ist die Landesregierung darauf vorbereitet?

Auf der politischen Ebene übernehmen wir eine moderierende Funktion. Unser mit der Industrie- und Handelskammer entwickeltes Konzept der Nachfolgemoderatoren gilt bei der EU als vorbildlich und die Moderatoren konnten alleine in den vergangenen sieben Jahren mehr als 12.800 Unternehmen
informieren, beraten und bei der Übergabe begleiten. Das ist nach meiner Meinung die Aufgabe der Politik, nämlich bessere Netzwerke zu schaffen. Doch die Unternehmer sind ebenfalls gefragt, aktiv zu werden.

Sie führen seit etwas mehr als einem halben Jahr das Wirtschaftsministerium. Was ist einfacher zu führen, ein Unternehmen oder eine Landesbehörde?

Ich saß bei Bizerba nicht in der Geschäftsführung, sondern im Aufsichtsrat. Lassen Sie mich es so sagen: Jede Aufgabe hat ihre Herausforderung.

Hilft Ihnen der Blick von außen?


Wer wie ich neu in einen Bereich kommt, hinterfragt mehr, als wenn man sich seit vielen Jahren mit einem Thema beschäftigt. Ich denke, dass mir dieser unverstellte Blick hilft, Dinge anzupacken. Natürlich gilt es, auf der politischen Ebene Kompromisse zu finden. Aber Themen nicht aufzugreifen, weil man denkt, sie ohnedies nicht durchsetzen zu können, ist aus meiner Sicht der falsche Weg.

Das Gespräch führten Reimund Abel und Ingo Dalcolmo.

Quelle:

Das Interview erschien am 18. November in den Stuttgarter Nachrichten.
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