Interview

"Wir hinken dem Bund hinterher"

Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut im Gespräch.

Politische Unsicherheiten in vielen Ländern werden sich 2017 verstärkt auch in den Betrieben im Südwesten bemerkbar machen, sagt Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im Interview mit dem Südkurier.

Frau Hoffmeister-Kraut, Baden-Württemberg ist Autoland. Grüne und Bundesrat fordern jetzt das Aus für Autos mit Diesel- und Benzinantrieb bis 2030. Was würde das für den Standort Baden-Württemberg bedeuten?


Rund 230.000 Arbeitsplätze, das sind 18 Prozent aller Industrie-Jobs im Land, sind direkt im Fahrzeugbau angesiedelt. Ein Großteil davon hängt heute noch am Verbrennungsmotor. Die Zahlen machen deutlich, dass der Bereich eine absolute Schlüsselbranche ist. Den Verbrennungsmotor zu verbieten, ist aus meiner Sicht falsch. Vielmehr geht es darum, einen Dialog über die Zukunft der Automobilbranche anzustoßen. Die Klima- und Umweltziele der Bundesregierung müssen technologieoffen erreicht werden.

Ministerpräsident Kretschmann fordert für Verbrennungsmotoren einen Ausstiegsplan ähnlich wie für die Atomkraft. Das sind deutlich harschere Töne, als Sie sie anschlagen. Deutet sich da ein Zwist in der Regierung an?

Ministerpräsident Kretschmann und ich sind uns vollkommen einig darin, dass wir die Klimaschutzziele erfüllen müssen. Und wir wollen das gemeinsam mit den Unternehmen schaffen. Das geht auch gar nicht anders. Auf einen Arbeitsplatz, der im Zusammenhang mit der Elektromobilität steht, kommen sieben, die vom Verbrennungsmotor abhängig sind. Die durch den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor erzielten Gewinne finanzieren die Forschung an alternativen Antrieben. Daran sieht man ganz deutlich: Es geht um viele Jobs. Beim Übergang zur E-Mobilität müssen wir mit Bedacht vorgehen. Wir dürfen den Automobilstandort nicht schädigen.

Nach einer ersten Welle direkt nach der Wirtschafts- und Finanzkrise sind ausländische Investoren zurück und kaufen sich in hiesige Firmen ein. Wie bewerten Sie die Entwicklung?

Das Thema schürt Ängste, konkret, dass Know-how abfließt und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands geschwächt wird. Wer darüber nachdenkt, bei Übernahmen von gesetzgeberischer Seite regulativ einzugreifen, muss allerdings eines beachten. 195 Milliarden Euro unseres Bruttoinlandsprodukts im Südwesten werden durch den Export erbracht. Eine Vielzahl unserer Firmen ist international aufgestellt. Wir sind international stark vernetzt. Diese Offenheit müssen wir uns erhalten. Auch hier tun Verbote nicht gut. Wichtiger ist es, dafür einzutreten, dass deutsche Firmen im Ausland die gleichen Investitionsbedingungen haben wie ausländische Firmen, die hierzulande tätig sind. Falls hier etwas ins Ungleichgewicht kommt, muss die Politik handeln.

Wirtschaftsverbände beklagen dies im Verhältnis zu China aber schon lange...


Dennoch rate ich zur Vorsicht. Protektionismus hat Deutschland am Ende des Tages noch immer geschadet.

Die Auslastung der Industrie im Land liegt aktuell unter dem Durchschnitt. Wie sind die Prognosen für die kommenden Monate?

Wir gehen davon aus, dass die Südwestwirtschaft im Jahr 2016 um 1,8 Prozent wachsen wird. Für 2017 planen wir mit einem niedrigeren Wert von 1,5 Prozent. Der Rückgang ist Unsicherheiten in wichtigen Absatzmärkten geschuldet. Ich nenne nur den Brexit, das Russland-Embargo oder die Abschwächung der Konjunktur in China. Richtig ist aber auch, dass die Industrieproduktion in Baden-Württemberg nach einem exzellenten Jahr 2015 in den ersten acht Monaten 2016 stagniert hat. Wir hinken hier dem Bund hinterher, wo immerhin ein leichtes Wachstum von einem Prozent zu verzeichnen ist.

Wenn Investitionsgüterindustrien stottern, deutet das meist auf einen breiteren Abschwung hin...


Wir sehen derzeit keine größeren Verwerfungen, allerdings eine merkliche Investitionszurückhaltung bei wichtigen Handelspartnern.

Wo hakt es in den deutsch-schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen gerade am meisten?

Die Schweiz ist mit einem Volumen von 13,4 Milliarden Euro der viertwichtigste Exportmarkt Baden-Württembergs. Gemessen daran bestehen in der Schweiz noch zu viele bürokratische Hürden. Beispielsweise sind viel zu viele Dokumente erforderlich, um Waren in die Schweiz zu liefern. Wer als deutscher Betrieb Dienstleistungen in der Schweiz anbieten will, muss sehr viele Nachweise erbringen. Das ist aufwendig und teuer und steht einem lebhafteren Handel und Warenaustausch im Weg, der sicher auch der Schweiz zugutekäme. Wir versuchen, die offenen Fragen aber im gegenseitigen Dialog zu klären. Wir sind permanent im Gespräch. Ich hoffe auf baldige Fortschritte.

Die Integration von Flüchtlingen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Tut die Wirtschaft genug?


Insgesamt sind derzeit in Baden-Württemberg 14500 Asylbewerber in Arbeit und 600 Flüchtlinge haben aktuell eine Ausbildung begonnen. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Schildern Sie die Lage nicht zu positiv? Außer Praktika bieten die meisten Firmen doch fast keine Hilfestellungen?

Das Problem stellt in den meisten Fällen die Sprache dar. Die Kenntnisse sind im Moment meist einfach noch zu schlecht, um eine Ausbildung beginnen zu können. Um das anzugehen, haben wir landesweit 37 sogenannte Kümmererstellen geschaffen. Das sind Leute, die bringen Flüchtlinge und Betriebe zusammen. Auch Praktika leisten einen wichtigen Beitrag, die Sprache zu lernen. Das ist eine gute Ergänzung der klassischen Deutschkurse. Wir sind überzeugt, dass im kommenden Jahr und auch 2018 weit mehr Flüchtlinge als heute in Ausbildung und Arbeit kommen werden.

In Baden-Württemberg sind 100.000 Stellen nicht besetzt. Das ist doch Potenzial genug, oder?


Es stimmt, dass speziell in Bereichen, wo die Qualifikation keine unüberwindliche Hürde darstellt, viele Jobs offen sind. Etwa in der Gastronomie, im Bau, der Logistik oder in der Landwirtschaft. Hier sehen wir die künftigen Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylbewerber auch positiv. Unsere Unternehmen haben ein ureigenes Interesse, Fachkräftenachwuchs zu sichern. Da brauchen sie keine Nachhilfe der Politik.

Das Gespräch führte Walther Rosenberger.

Quelle:

Das Interview erschien am 4. November 2016 im Südkurier
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