Arbeitswelt 4.0

„Abschied von der Präsenzkultur“

Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut (Bild: Martin Stollberg / Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg)

Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist nicht mehr nur eine Zukunftsvision – wir sind schon mittendrin. Welche Auswirkungen erleben die Menschen aktuell bereits am Arbeitsplatz?

In der Tat haben wir in einer wissenschaftlichen Studie festgestellt, dass in Baden-Württemberg bereits rund zwei Drittel der befragten Beschäftigten in hohem oder sogar sehr hohem Maße bei ihrer Kerntätigkeit durch die Digitalisierung unterstützt werden. Die Auswirkungen sind vielfältig, oft entsteht so mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit und dem Arbeitsort. Und neben den Tätigkeiten ändern sich auch die Anforderungen an die Beschäftigten.

Wo sehen Sie die Chancen der Digitalisierung für die Veränderung der Arbeit?

Indem individuelle Kundenwünsche flexibler, schneller, ressourceneffizienter und damit auch kostengünstiger durch Digitalisierung bedient werden, können Unternehmen Wettbewerbsvorteile erreichen. Die Beschäftigten profitieren vor allem von flexibler und mobiler Arbeit, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen kann. Vielfach kann durch Maschinen und digitale Steuerung schwere Arbeit für den Menschen erleichtert werden. Der verstärkte Trend zum zeit- und ortsflexiblen Arbeiten, den wir durch die Digitalisierung erleben, bietet die Chance auf ein selbstbestimmteres Arbeiten, neue Vereinbarkeitslösungen und einen Abschied von der Präsenzkultur.

Könnte es zu einer Stärkung personenbezogener Interaktionen und Dienstleistungen kommen?

Diesen Zusammenhang sehe ich durchaus. Um die kreativen Potenziale zum Beispiel bei der Produktentwicklung zu nutzen, entstehend neue Formen der Zusammenarbeit in Unternehmen. Im Sinne einer Unternehmenskultur 4.0 werden Hierarchieebenen abflachen und Teamarbeit einen noch höheren Stellenwert einnehmen.

Welche Schlüsselqualifikationen sollten Arbeitnehmer in der Arbeitswelt 4.0 haben?

Digitale Grundfähigkeiten werden für die meisten Tätigkeiten künftig unverzichtbar sein. Beschäftigte müssen auch in der Lage sein, ihr Wissen digital zu erweitern. Außerdem werden Fähigkeiten zum kollaborativen und agilen Arbeiten wichtiger, aber auch Adaptions- und Problemlösungsfähigkeit oder Kreativität und Durchhaltevermögen gewinnen an Bedeutung.

Gibt es bereits belegte Erkenntnisse zu den Risiken der Digitalisierung wie beispielsweise Entgrenzung, Multitasking und ständige Erreichbarkeit?

Manche Menschen erleben die Digitalisierung der Arbeitswelt als Gewinn – andere entwickeln Zukunftsängste oder fühlen sich psychisch belastet. Wie die Digitalisierung tatsächlich auf die Beschäftigten wirkt, hängt von persönlichen Voraussetzungen, der konkreten Gestaltung des Arbeitsplatzes und den betrieblichen Rahmenbedingungen ab. Um die unterschiedlichen Wirkmechanismen im Einzelnen besser zu erkennen und zu verstehen bedarf es allerdings weiterer Forschung.

Wie können Unternehmen Ihre Mitarbeiter vor gesundheitlichen, psychischen und sozialen Problemen durch die Veränderungen der Arbeit schützen?

Die Veränderungen stellen neue Anforderungen an den Arbeitsschutz und das betriebliche Gesundheitsmanagement. Hier sind die Betriebe in der Verantwortung, die Gefährdungen und Belastungen im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, um zielgerichtete präventive Maßnahmen ableiten zu können.

Wie können Mitarbeiter selbst verantwortungsbewusst mit den neuen Herausforderungen umgehen und trotzdem mit der Entwicklung in der digitalen Arbeitswelt Schritt halten?

Das hängt stark von der individuellen Tätigkeit und den jeweiligen Belastungen ab. Ganz grundsätzlich ist für Beschäftigte ein Ausgleich zu den Belastungen durch die jeweilige Beschäftigung ratsam: Bei überwiegend sitzender Tätigkeit sollte beispielsweise auf ausreichend Bewegung auch in der Freizeit geachtet werden. Digitale Auszeiten und eine Begrenzung der Erreichbarkeit können ebenfalls Belastungen entgegenwirken.

Quelle: Business Today

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