Innovation

Transformationsrat Automobilwirtschaft

Über die Zukunft und den Wandel in der Automobilindustrie sprachen Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Wilfried Porth, Vorstandsmitglied der Daimler AG und Detlev von Platen, Vorstandsmitglied der Porsche AG. Das Interview führten die Stuttgarter Nachrichten.

Frau Hoffmeister-Kraut, Sie haben den Tranformationsrat im April 2017 gegründet – jetzt liegt ein erstes Positionspapier vor. Der Wandel ist aber schon seit Jahren in vollem Gange und es gibt in der Bildung und bei der Infrastruktur einen riesigen Nachholbedarf. Kommen die ganzen Initiativen aus Sicht der Wirtschaft nicht viel zu spät?

Porth: Die Firmen haben gerade bei der Infrastruktur schon eine Menge selbst angestoßen. Dass wir nun die Kräfte bündeln, ist gut, weil die Fahrzeuge, die wir in den vergangenen Jahren entwickelt haben, jetzt auf die Straßen kommen: Daimler bringt nächstes Jahr das erste Fahrzeug der Elektromarke EQ auf den Markt und Anfang des kommenden Jahrzehnts folgen die ersten Robotaxis. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir die angesprochene Infrastruktur wirklich benötigen.

Von Platen: Der Erfolg der Elektromobilität hängt vor allem von der Geschwindigkeit und dem Komfort der Ladeinfrastruktur ab.  Da gibt es noch viele Fragen, die wir zusammen mit der Politik klären müssen. Welche Voraussetzungen müssen beispielsweise gegeben sein, um sich in einem Mehrmieterhaus eine Ladesäule in die Garage zu bauen. Bei der Definition solcher grundsätzlichen Rahmenbedingungen macht eine Zusammenarbeit mit verschiedenen, betroffenen Akteuren einfach Sinn.

Hoffmeister-Kraut: Das sehe ich auch so. Ich hab eine klare Vorstellung, wohin sich unser Land entwickeln soll. Unser aller Anspruch ist, dass die Mobilität der Zukunft aus Baden-Württemberg kommt.  Das ist mein klarer Anspruch, deshalb habe ich auch den Transformationsrat ins Leben gerufen: Wir wollen bei der Mobilität der Zukunft den Takt vorgeben.

Und dabei sind zwei Transformationsgremien besser als eines? Es gibt doch bereits den Strategiedialog des Ministerpräsidenten, der genau das gleiche Ziel hat.

Hoffmeister-Kraut: Der Strategiedialog ist viel breiter angelegt. Im Transformationsrat liegt unser Fokus klar auf der Wirtschaft, darauf, wie wir Wertschöpfung und Arbeitsplätze erhalten.

Sie fordern in Ihrem Positionspapier den Aufbau einer Batteriezellproduktion in Baden-Württemberg. Der größte chinesische Batterieproduzent CATL hat sich jetzt allerdings für Thüringen als Produktionsstandort entschieden. Wie sehr wurmt Sie das?

Hoffmeister-Kraut: Uns ist es in der Tat ein Anliegen, dass wir die Systemkompetenz für die Elektromobilität im Land haben und wir wollen bei wichtigen Komponenten nicht abhängig von asiatischen Herstellern sein. Darum investieren wir als Land 13 Millionen Euro in zwei Projekte zum Aufbau einer digitalisierten Zellproduktion und arbeiten mit Varta zusammen, dem einzigen Großserien-Zellhersteller im Land.

Nachfrage: Bis wann soll bei dieser Kooperation eine serienreife Zellproduktion für E-Autos entstehen?

Das Zentrum wird aktuell aufgebaut und soll bis spätestens Ende kommenden Jahres voll funktionsfähig sein. Das ergänzende Verbundforschungsprojekt ist zunächst auf zwei Jahre angelegt und startet auch nicht bei null. Allein durch mein Haus gefördert mit 30 Millionen Euro – insgesamt investieren Land und Wirtschaft hier 60 Millionen – arbeitet ein Konsortium aus Baden-Württemberg bereits seit einigen Jahren sehr erfolgreich an einer wettbewerbsüberlegenen Zelltechnologie.

Ist es für die Autohersteller überhaupt wichtig, ob die Zellen in Deutschland oder Asien gefertigt werden?

Porth: Wir glauben, dass das Thema der Batteriefertigung – also der Zusammenbau der Zellen und der Batteriesteuerung – die Schlüsseltechnologie ist. Ob die Zelle aus Asien, Thüringen oder Baden-Württemberg kommt, ist für uns weniger entscheidend. Klar ist aber auch, dass der Bedarf nach Zellen so groß ist, dass auch mehrere Produktionen in Deutschland denkbar wären.

Von Platen: Wichtig ist, dass wir nicht nur an die Hardware denken. Deutschland ist ein starkes Industrieland, heute müssen wir aber unbedingt auch auf ein entsprechendes Dienstleistungsangebot achten. Aus diesem Grund ist es auch Aufgabe des Transformationsrats, kleinen und mittleren Unternehmen hierbei eine gewisse Orientierung zu geben.

Wie meinen Sie das?

Von Platen: Mit Unterstützung des Transformationsrats ist beispielsweise eine Art „Transformationscoaching“ für kleine und mittelständische Unternehmen geplant, deren Geschäft von Fahrzeugen mit klassischem Verbrenner abhängt. Gemeinsam wollen wir ausloten, welche neuen und innovativen Geschäftsmodelle sich entwickeln lassen, wo die Kompetenzen des Unternehmens liegen und wie es in zehn Jahren aussieht.

Hoffmeister-Kraut: Wir müssen bedenken, dass wir allein in Baden-Württemberg rund 440 000 Beschäftigte im Automobilsektor haben. Durch den Wandel und erwartete Produktivitätssteigerungen könnten bis zu 75 000 Vollzeitstellen überflüssig werden. Für den Standort geht es also wirklich um seine Zukunft. Darum ist im Transformationsrat etwa eine Pilot-Lernwerkstatt entstanden, durch die Beschäftigte im Bereich Kfz-Werkstätten und Kfz-Handel fit gemacht werden für die Anforderungen der Mobilität der Zukunft.

Welche Firmen sind durch den Wandel vom Verbrenner zum E-Motor besonders betroffen?

Hoffmeister-Kraut: Als erstes in der Kette trifft es die Anlagenbauer und Fabrikausrüster, die sich auf eine komplett neue Technologie einstellen müssen.  Wir müssen jetzt die Weichen dafür stellen, dass diese Unternehmen sich so entwickeln können, dass sie auch in Zukunft noch markt- und wettbewerbsfähig sind.  Wir müssen die Voraussetzungen für neue, insbesondere auch digitale Geschäftsmodelle schaffen und dazu gehört auch eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur. Da muss viel mehr viel schneller passieren als bislang.

Porth: Das Thema Digitalisierung ist ein gutes Beispiel. Es ist schön, dass in Stuttgart irgendwann mal jeder schnelles Internet hat. Aber wenn das bis 2030 dauert, wonach es jetzt aussieht, ist das schlicht viel zu spät für die Wirtschaft. Wenn ich heute ins Ausland gehe, habe ich überall schnelles Internet und vollen Mobilfunkempfang – sei es in Rumänien, Vietnam oder Kambodscha. Nur in Stuttgart muss ich den Anrufern sagen: ich melde mich später noch mal, wenn ich wieder am Festnetz bin. Das kann doch nicht sein. Digitale Infrastruktur ist so wie alle Verkehrswege eine staatliche Aufgabe: was früher Straßen und Eisenbahnen waren sind heute digitale Netzwerke.

Von Platen: Ganz entscheidend ist die flächendeckende Abdeckung mit dem neuesten Mobilfunkstandard. 5G ist kein Wunsch, 5G ist ein Muss. Vor allem, wenn das autonome Fahren Wirklichkeit werden soll. Aber auch viele neue Geschäftsmodelle sind ohne 5G nicht denkbar. Nicht zuletzt schrecken wir ohne eine wettbewerbsfähige, digitale Infrastruktur Gründer und Start-ups ab. Dabei ist im Land ein riesiges Potenzial an Kreativität und Willen vorhanden.

„Es gibt viel Potenzial“ heißt ja übersetzt aus der Managersprache, dass die Situation extrem ungenügend ist. Was kritisieren Sie besonders?

Von Platen: Es gibt auf jeden Fall viel zu tun. Dabei geht es mir aber weniger um Kritik. Vielmehr möchte ich verdeutlichen, dass wir für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auf innovative Start-ups angewiesen sind. Und wir müssen uns konkret etwas einfallen lassen, damit diese kreativen Köpfe Lust haben, in Stuttgart zu bleiben und nicht nach Berlin oder ins Ausland abwandern.

Jetzt haben wir viel darüber gehört, was die Wirtschaft von der Politik erwartet. Frau Hoffmeister-Kraut, was erwarten Sie denn von der Wirtschaft?

Hoffmeister-Kraut: Wir sitzen an einem Tisch, um genau solche Fragen auszuloten. Ein Thema ist für mich, dass zu viele junge Köpfe von den IT-Unternehmen aus den USA für horrende Summen abgeworben werden, um deren Wissen abzuschöpfen. Um das zu verhindern, sind auch die Unternehmen gefordert, die permanent daran arbeiten müssen, als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Ich wünsche mir außerdem, dass der Austausch zwischen der Wirtschaft und der Wissenschaft noch stärker stattfindet.

Können Sie das konkretisieren?

Hoffmeister-Kraut: Es ist sinnvoll, dass Ingenieure im Laufe ihrer Karriere immer wieder einige Jahre aus den Unternehmen in die Wissenschaft wechseln und dort ihr Praxiswissen einbringen. Denn wir müssen feststellen, dass Deutschland und auch Baden-Württemberg nicht wirklich digital ticken. Damit die Digitalisierung gelingt, brauchen wir aber Mitarbeiter, die das in den Unternehmen, in der Wissenschaft und der Gesellschaft vorantreiben. Für viele Menschen ist das Thema Digitalisierung mit Angst verbunden. Die Menschen sorgen sich, dass sich die Arbeitsinhalte und der Arbeitsumfang in Zukunft verändern. Sie fühlen sich durch Künstliche Intelligenz und den Einsatz von Robotern potenziell bedroht. Mit diesen Ängsten müssen wir umgehen. Wenn wir uns den Zukunftstechnologien gegenüber nicht stärker öffnen, laufen wir Gefahr, dass wir wichtige Entwicklungen verpassen und gegenüber den USA oder Asien zurückfallen.

Wie kann die Wirtschaft helfen?

Porth: Wir diskutieren im Moment über eine Art Bündnis für Bildung. Das Problem ist doch auch, dass das pädagogische Personal in vielen Kindergärten, Schulen und Berufsschulen heute selbst nicht mit der Digitalisierung groß geworden ist. Wir wollen diesen Menschen Bildungsangebote machen, die sie dazu befähigen, Themen wie Softwarekompetenz, den Umgang mit neuen Technologien und das Wissen um neue Berufe und Geschäftsmodelle viel früher in die Bildungskette einfließen zu lassen. Wir könnten beispielsweise Labore einrichten, in denen wir bei der Lehrerbildung zu digitalen Themen unterstützen.

Mit „wir“ meinen Sie Daimler?

Porth: In keinem Bundesland gibt es eine höhere Dichte an Weltmarktführern als in Baden-Württemberg. Jeder von ihnen hat die Kompetenz, solche Bildungsangebote zu machen. Wir denken da an Patenschaften zwischen einzelnen Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Verbänden.

Gehört dazu auch eine Ausrüstung von relevanten Bildungsträgern, sodass sie technologisch auf dem neusten Stand sind?

Porth: Es wäre relativ leicht, überall Laptops und Tablets zu verteilen. Aber damit ist es eben nicht getan. Es geht weniger um die Hardware als um die Frage, was man damit machen kann – außer darauf rumzudaddeln. Diese Idee eines Bildungsbündnisses wollen wir im Transformationsrat gemeinsam entwickeln und vorantreiben.

So weit so harmonisch. Gab es bei der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik auch Zeiten, in denen das Verhältnis auf die Probe gestellt wurde. Etwa als die Vorwürfe lauter wurden, dass beim Abgas nicht nur in Wolfsburg, sondern auch in Baden-Württemberg getrickst wurde?

Hoffmeister-Kraut: Wir sind uns einig darüber, dass dort, wo es Betrug gab, eine lückenlose Aufklärung stattfinden muss. Ansonsten ist mein Vertrauensverhältnis zu den Wirtschaftsvertretern im Land ungetrübt und darauf bauen wir auf.

Es traten ja immer neue Vorwürfe auf. Haben Sie sich von den Wirtschaftsvertretern da zu jeder Zeit ausreichend informiert gefühlt?

Hoffmeister-Kraut: Wichtig ist, dass jetzt alles auf dem Tisch liegt und aufgearbeitet wird.

Porth: Der Fokus dieser Initiative liegt ja nicht auf der Vergangenheitsbewältigung, sondern auf der Zukunftsgestaltung.

Schon klar, aber wenn man Zweifel hat, ob die Partner, mit denen man an einem Tisch sitzt, jederzeit offen kommunizieren, kommen ja durchaus Fragen auf.

Hoffmeister-Kraut: Die aber inzwischen soweit geklärt sind.

Ist der Dieselskandal für die Industrie eher ein Innovationstreiber oder eine Bremse?

Porth: Bei der Aufklärung des Themas werden sicherlich viele richtige Fragen gestellt. Was allerdings niemanden weiterbringt, ist, wenn in diesem Zusammenhang die komplette Dieseltechnologie totgeredet wird. Dass der Diesel sauber sein muss und kann unter den verschärften Rahmenbedingungen, die jetzt in allen Facetten definiert werden, haben wir mit unserer neuen Motorengeneration schon 2016 bewiesen.

Gerade durch den Diesel ist aber ein Vertrauensverlust eingetreten. Was bedeutet das für Ihre künftige Arbeit, bei der Sie auf gedeihliche Zusammenarbeit angewiesen sind?

von Platen: Wir müssen vor allem nach vorne schauen. Die Welt verändert sich, die Industrie befindet sich in einem historischen Umbruch. In den kommenden fünf Jahren wird sich die Automobilindustrie stärker verändern als in den fünfzig Jahren zuvor. Die Frage muss daher lauten, wie wir morgen nach wie vor wettbewerbsfähig, kreativ und schnell sein können – und uns vielleicht sogar noch verbessern können.

Dennoch kann man das Problem nicht einfach ausblenden.

Hoffmeister-Kraut: Die Glaubwürdigkeit muss wiederhergestellt werden. Das betrifft auch die Politik, die nun neue Zulassungsverfahren eingeführt und eine andere Prüftechnik vorgegeben hat, die ab September gelten. Der Prozess der Aufklärung ist in vollem Gange und dabei sind Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefordert.

Quelle:

Stuttgarter Nachrichten
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