Der vierte Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthält die allgemeinen Grundsätze der öffentlichen Auftragsvergabe ab einer bestimmten Auftragshöhe und regelt das Verfahren zur Nachprüfung solcher Auftragsvergaben.
Die Vergabevorschriften des GWB sind anzuwenden, wenn ein Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag von einem der in § 98 GWB genannten Auftraggeber vergeben wird und der Wert des Auftrags den so genannten Schwellenwert erreicht oder übersteigt (§ 106 Abs. 1 GWB).
Diese Vorschriften des GWB richten sich nur an die öffentlichen Auftraggeber. Das sind nach § 99 GWB zum einen die juristischen Personen des öffentlichen Rechts, zum anderen bestimmte natürliche und juristische Personen des privaten Rechts.
Die näheren Einzelheiten für das Vergabeverfahren sind in der Vergabeverordnung (VgV), den einzelnen Vergabe- und Vertragsordnungen, der Sektorenverordnung und der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit geregelt. Zudem sind die Vergaberegelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz (§ 21), dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (§ 21) und dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (§ 19) zu beachten. Jeder Bieter hat Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften. Er kann die ordnungsgemäße Einhaltung in einem besonderen Nachprüfungsverfahren kontrollieren lassen.
Das Vergabeverfahren endet mit der Zuschlagserteilung auf ein Angebot. Durch den Zuschlag wird das Angebot angenommen und damit der Vertrag abgeschlossen.
Die hohe Anzahl ukrainischer Flüchtlinge in Kumulation mit einem deutlichen Anstieg der Asylzugangszahlen aus anderen Staaten stellen Bund, Länder und Kommunen vor große Herausforderungen bei der Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden. Bestehende Kapazitäten für die Geflüchtetenunterbringung sind vielerorts bereits erschöpft. Zur Bewältigung dieser Lage besteht daher vielerorts auch sehr akuter Beschaffungsbedarf. Bei der öffentlichen Beschaffung zur angemessenen Unterbringung und Versorgung dieser Menschen ist in vielen Fällen schnelles Handeln geboten. Zuvorderst ist Obdachlosigkeit und die Gefährdung wichtiger Rechtsgüter (z.B. Gesundheit der Flüchtlinge) zu vermeiden.
Zum bestehenden vergaberechtlichen Rechtsrahmen für Dringlichkeitsvergaben hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ein entsprechendes Auslegungsrundschreiben erstellt, das die Möglichkeiten der Dringlichkeitsvergaben nochmals erläutert.
Dabei wird Bezug genommen auf:
- Das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen vom 24.8.2015
- Die Mitteilung der Europäischen Kommission an das europäische Parlament und den Rat zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik vom 9.9.2015
- Das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Anwendung von dringlichen Vergaben im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom 13.4.2022
Die dort aufgezeigten Möglichkeiten bestehen im geltenden Rechtsrahmen auch weiterhin. Sie können beispielsweise Anwendung finden für Beschaffungen zur Herrichtung von vorhandenen Gebäuden der Kommunen, der Länder und des Bundes, zur Errichtung von Gebäuden in Modulbauweise, für Beschaffungen von Waren (z.B. Kleidung, Decken, Betten, Nahrungsmittel, Container, Zelte) und/oder die Versorgung der ankommenden Flüchtlinge (z.B. Verpflegung, medizinische Versorgung, soziale Dienstleistungen, Sicherheitsdienstleistungen, Reinigungsdienstleitungen).
In jedem Fall muss die beschaffende Stelle prüfen, ob die jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen im Einzelfall gegeben sind und dies entsprechend dokumentieren.
Das Auslegungsschreiben des BMWK enthält umfassende Ausführungen zu
- öffentlichen Aufträgen oberhalb der EU-Schwellenwerte gemäß § 106 GWB,
- öffentlichen Aufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte und
- der Ausweitung bestehender Verträge.
Hinweis: Im Anwendungsbereich der VwV Beschaffung gilt für Direktaufträge die Wertgrenze von 100.000 Euro (ohne Umsatzsteuer), gem. Nummer 7.2 der VwV Beschaffung.
Mit der am 8. April 2022 im EU-Amtsblatt veröffentlichten Verordnung (EU) 2022/576 des Rates vom 8. April 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (nachfolgend: Sanktions-VO) über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, wurden seit Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erstmals auch Sanktionen erlassen, die die Vergabe und die Ausführung öffentlicher Aufträge und Konzessionen ab Erreichen der EU-Schwellenwerte nach § 106 GWB unmittelbar und ohne weitere nationale Umsetzungsrechtsakte betreffen. Ein Rundschreiben des BMWK vom 14. April 2022 (PDF) gibt einen ersten und vorläufigen Überblick über die Reichweite und Anwendung des Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbots in Art. 5k Sanktions-VO mit ersten und vorläufigen Hinweisen zur Anwendung der Sanktionen im Bereich der öffentlichen Beschaffung. Zur Arbeitserleichterung bzw. zu Orientierungszwecken gibt es eine Übersicht über von den Sanktionen erfasste Ausnahmetatbestände (PDF) von den Vergabe-Richtlinien sowie ein Muster für Eigenerklärungen zur Umsetzung der Sanktionsverordnung im konkreten Vergabeverfahren.
Mit Mitteilung des BMWK wurde am 24. Juni 2022 im Zusammenhang mit den EU-Russland-Sanktionen im Bereich der öffentlichen Aufträge und Konzessionen die Allgemeine Genehmigung von Ausnahmen nach Artikel 5k Abs. 2 der Verordnung (EU) 833/2014 des zuständigen Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Zur Bekanntmachung des BMWK
Weitere Einzelheiten zu den vergabebezogenen Sanktionen allgemein und der Nutzung der Allgemeinen Genehmigung (einschl. der Pflicht sich einmalig beim BAFA zu registrieren) ergeben sich aus dem auf der Website des BMWK zur Verfügung gestellten Frage- und Antwortkatalogs.
Die EU-KOM hat ebenfalls einen Fragen – und Antwortkatalog zu den vergabebezogenen EU-RUS-Sanktionen (Art. 5k VO 833/2014) erstellt. Ein aktualisiertes Dokument ist ausschließlich in englischer Sprache abrufbar, anwendbar im Oberschwellenbereich: FAQ (PDF)
Nach derzeitigem Stand ist in Baden-Württemberg nicht geplant, die Sanktions-VO auf den Bereich unterhalb der EU-Schwellenwerte auszudehnen.
Die Regeln des GWB gelten nur für die Vergabe eines Auftrags, dessen Volumen einen bestimmten Schwellenwert übersteigt. Die Schwellenwerte werden durch EU-Richtlinien festgelegt. Die EU-Schwellenwerte gelten unmittelbar und werden durch die Bundesregierung im Bundesanzeiger bekanntgemacht.
Ein öffentlicher Auftrag ist der zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen schriftlich geschlossene Vertrag über eine bestimmte entgeltliche Leistung.
Das Vergaberecht erstreckt sich auf Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge. Aufträge im Bereich der Trinkwasser-, Energieversorgung und des Verkehrs bilden den Sektorenbereich. Konzessionsaufträge durch einen Konzessionsgeber bilden den Konzessionsbereich. Bei der Vergabe von Konzessionen das Betriebsrisiko für die Nutzung des Bauwerks oder für die Verwertung der Dienstleistungen auf den Konzessionsnehmer über.
Die Richtlinie 2009/81/EG gibt zudem vor, wie öffentliche Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit ab bestimmten Schwellenwerten abzuwickeln sind. Erfasst werden Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge. Diese Richtlinie wurde durch Änderungen des GWB sowie einer neuen Vergabeverordnung "Verteidigung und Sicherheit" in nationales Recht umgesetzt.
Bauaufträge sind Verträge entweder über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauvorhabens oder Bauwerkes, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen soll, oder einer dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommenden Bauleistung durch Dritte nach den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen (§ 103 Abs. 3 GWB).
Lieferaufträge sind Verträge zur Beschaffung von Waren, die insbesondere Kauf oder Ratenkauf, Leasing, Miete oder Pacht mit oder ohne Kaufoption betreffen (§ 103 Abs. 2 GWB).
Dienstleistungsaufträge sind diejenigen Verträge über die Erbringung von Leistungen, die weder Bauaufträge noch Lieferaufträge sind (§ 103 Abs. 4 GWB).
Für die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gelten unterschiedliche Regelungen:
- Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) für die Vergabe von Bauaufträgen,
- die Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwert (Unterschwellenvergabeordnung - UVgO),
- die Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV),
- die Verordnung über die Vergabe von Aufträgen, im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung - Sektorenverordnung (SektVO). Ausgenommen sind Bau- und Dienstleistungskonzessionen,
- die Konzessionsvergabeverordnung für die Vergabe von Konzessionen durch einen Konzessionsgeber (KonzVgV),
- die Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV).
Die Vergabeverordnung (oberhalb der europäischen Schwellenwerte) und die Unterschwellenvergabeordnung (unterhalb der europäischenSchwellenwerte) regeln das Vergabeverfahren im "klassischen Bereich". Die VOB/A gilt für Aufträge für Bauleistungen und ist in drei Abschnitte untergliedert. Der Abschnitt 2 regelt das Vergabeverfahren für Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte. Aufträge im "Sektorenbereich“ sind nach der SektVO zu vergeben.
Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit richten sich nach der VSVgV.
Die Vergaberegelungen sehen im Wesentlichen folgende unterschiedliche Verfahrensarten vor: das offene Verfahren (unterhalb der EU-Schwellenwerte: Öffentliche Ausschreibung), das nicht offene Verfahren (unterhalb der EU-Schwellenwerte: Beschränkte Ausschreibung) mit und ohne Teilnahmewettbewerb, das Verhandlungsverfahren (unterhalb der EU-Schwellenwerte: Verhandlungsvergabe) und den wettbewerblichen Dialog oder die Innovationspartnerschaft (jeweils nur oberhalb der EU-Schwellenwerte).
Beim offenen Verfahren wird der Auftrag im vorgeschriebenen Verfahren nach öffentlicher Aufforderung einer unbeschränkten Zahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe vergeben.
Beim nicht offenen Verfahren wird der Auftrag im vorgeschriebenen Verfahren nach Aufforderung einer beschränkten Zahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe vergeben.
Beim Verhandlungsverfahren wird der Auftrag im vorgeschriebenen Verfahren nach Ansprache ausgewählter Unternehmen (mit oder ohne Teilnahmewettbewerb) und Verhandlung über die Auftragsbedingungen vergeben.
Ein wettbewerblicher Dialog ist ein Verfahren zur Vergabe besonders komplexer Aufträge. Nach einem Teilnahmewettbewerb eröffnet der öffentliche Auftraggeber mit den ausgewählten Unternehmen einen Dialog zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe.
Die Innovationspartnerschaft ist ein Verfahren zur Entwicklung innovativer, noch nicht auf dem Markt verfügbarer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen und zum anschließenden Erwerb der daraus hervorgehenden Leistungen. Es wird in mehreren Phasen mit den ausgewählten Unternehmen verhandelt.
Der Auftraggeber kann zwischen dem offenen und nicht offenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb frei wählen. Im Übrigen sind die Verfahrensarten grundsätzlich nicht frei wählbar.
Bei der Vergabe von Konzessionen ist das Verfahren grundsätzlich frei wählbar.
In der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit erfolgt die Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen grundsätzlich im nicht offenen Verfahren oder im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. In begründeten Ausnahmefällen ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb oder ein wettbewerblicher Dialog zulässig.
Wettbewerbsregister – Abfragepflicht und Auskunftsrechte
Seit dem 1. Juni 2022 sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, vor der Erteilung eines Zuschlags in einem Verfahren über die Vergabe öffentlicher Aufträge das Wettbewerbsregister zu demjenigen Bieterunternehmen abzufragen, das den Auftrag erhalten soll (§ 6 Wettbewerbsregistergesetz).
Das bundesweite Wettbewerbsregister wird beim Bundeskartellamt (Registerbehörde) geführt. Es ist eine bundesweite elektronische Datenbank für öffentliche Auftraggeber und stellt für Vergabeverfahren elektronisch Informationen darüber zur Verfügung, ob ein Unternehmen wegen begangener Wirtschaftsdelikte von einem öffentlichen Vergabeverfahren auszuschließen ist oder ausgeschlossen werden kann.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
- Öffentliche Auftraggeber sind in Vergabeverfahren ab einem geschätzten Auftragswert von 30.000 € (ohne Umsatzsteuer) zur Abfrage des Wettbewerbsregisters verpflichtet.
- Unternehmen und natürliche Personen haben die Möglichkeit, auf Antrag eine Auskunft über den sie betreffenden Inhalt des Wettbewerbsregisters (Selbstauskunft) zu erhalten.
- Stellen, die ein amtliches Verzeichnis nach Artikel 64 der EU-Vergaberichtlinie (Richtlinie 2014/24/EU) für die Zwecke der Präqualifizierung führen, erhalten auf Antrag und mit Zustimmung des betroffenen Unternehmens eine Auskunft über den das Unternehmen betreffenden Inhalt des Wettbewerbsregisters.
Mit der Anwendbarkeit der Abfragepflicht beim Wettbewerbsregister treten die bisher bestehenden Abfragepflichten für Auftraggeber im Hinblick auf das Gewerbezentralregister außer Kraft.
Die Abfrage des Wettbewerbsregisters erfolgt elektronisch über das Web-Portal der Registerbehörde. Abfragen können nur Auftraggeber, die zuvor bei der Registerbehörde in der Eigenschaft als Auftraggeber registriert wurden. Für den registrierten Auftraggeber können nur Bedienstete die Abfrage durchführen, die im Identitätsmanagementsystem SAFE als Nutzer registriert und von einem Identitätsadministrator des abfragenden Auftraggebers freigeschaltet sind.
Weitere Informationen finden Sie beim Bundeskartellamt