Die landesweite und ressortübergreifende Digitalisierungsstrategie digital@bw macht Baden-Württemberg fit für die digitale Zukunft. Der zweite Digitalisierungsbericht der Landesregierung zeigt die Fortschritte der fast 80 Projekte im Bereich Digitalisierung auf.
„Baden-Württemberg war eines der ersten Länder, das schon vor rund drei Jahren eine ressortübergreifende Digitalisierungsstrategie digital@bw unter der Federführung des Digitalisierungsministeriums aufgelegt hat. Seitdem sind wir auf dem Weg zur digitalen Leitregion Europas ein gutes Stück vorangekommen. Mit dem zweiten Digitalisierungsbericht zeigen wir den Fortschritt bei der Umsetzung der fast 80 Projekte auf, die die Landesregierung angestoßen hat. Dafür stehen uns bis 2021 323 Millionen Euro zur Verfügung, die wir ressortübergreifend in Innovationen investieren. Denn den Wohlstand und die Zukunftsfestigkeit unseres Landes müssen wir uns immer wieder neu erarbeiten“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Digitalisierungsminister Thomas Strobl hatte den zweiten Digitalisierungsbericht (PDF) zuvor im Kabinett vorgestellt. „Etliche Vorhaben sind schon weit fortgeschritten oder gar abgeschlossen, viele Innovationen können von den Bürge-rinnen und Bürgern, den Unternehmen und Forschungseinrichtungen genutzt werden. Dabei werden die Chancen und Herausforderungen durch den digitalen Wandel deutlich. Und das Wichtigste: Die Digitalisierung nützt den Menschen im Land, bringt Innovationen hervor und legt das Fundament für neue Wertschöpfung und Prosperität. Die Digitalisierung ist für die Menschen da. Wir stärken damit auch das Vertrauen in neue Technologien. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um im internationalen Wettbewerb an der Spitze zu bleiben“, zog Digitalisierungsminister Thomas Strobl Bilanz: „Baden-Württemberg war bei der Gestaltung der Digitalisierung in dieser Form – ganzheitlich und konsequent – bundesweit Vorreiter. Nur so bleiben wir die Region mit der stärksten Innovationskraft in Europa.“
Bürgerinnen und Bürger aktiv einbinden
Schwerpunkte der Digitalisierungsstrategie sind die Intelligente Mobilität, Start-ups, Wirtschaft 4.0, Bildung, digitale Gesundheitsanwendungen sowie Kommunen und Verwaltung. Zu den Querschnittsbereichen zählten neben Forschung, Entwicklung und Innovation auch digitale Infrastruktur, Nachhaltigkeit und Energiewende sowie Datensicherheit, Datenschutz und Verbraucherschutz. „Besonderes Augenmerk legen wir außerdem darauf, Bürgerinnen und Bürger aktiv einzubinden und über die Umsetzung zu informieren“, unterstrich Strobl.
Die einzelnen Themenbereiche und Projekte
„Mit dem Ausbau der digitalen Infrastruktur stärken wir die Innovationskraft in der Fläche des ganzen Landes, denn Baden-Württemberg macht beides stark: Der ländliche Raum und die Städte. Unser erklärtes Ziel ist es, das schnelle Internet auch bis zum letzten Schwarzwaldhof zu bringen. Aktuell treiben wir den Anschluss vieler unterversorgter Gemeinden ans Gigabit-netz voran. In dieser Wahlperiode werden wir für die Breitbandförderung mehr als eine Milliarde Euro aufwenden, allein im Doppelhaushalt 2020/21 stehen dafür mehr als 600 Millionen Euro bereit. Das ist giga. Wir machen Baden-Württemberg fit für die Gigabit-Welt“, erklärte Digitalisierungsminister Thomas Strobl.
Die Versorgung mit schnellem Internet hat sich schon spürbar verbessert. Mitte 2019 waren rund 90 Prozent der Haushalte mit einem Anschluss mit 50 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) versorgt. Das sind rund 20 Prozentpunkte mehr als noch Anfang 2016. Bei den Anschlüssen mit mindestens 100 Mbit/s konnte die Versorgung im Land sogar innerhalb eines Jahres um mehr als 15 Prozentpunkte zu Mitte 2018 gesteigert werden und liegt nun bei rund 83 Prozent der Haushalte.
„Mit dem Thema Intelligente Mobilität der Zukunft verfolgen wir das Ziel, vom Automobilland Nummer eins zum Mobilitätsland Nummer eins zu werden. Die Digitalisierung ist Treiber und Unterstützer dieses Wandels und eröffnet Chancen für mehr Effizienz und Lebensqualität. „Wir wollen, dass das Auto der Zukunft bei uns vom Band rollt und wir zur Wiege für intelligente und vernetzte Mobilität werden“, so Ministerpräsident Kretschmann.
Beispielsweise können Bus- und Bahnfahrer seit der Einführung des landesweit einheitlichen elektronischen Tickets Ende 2018 überall in Baden-Württemberg einfach losfahren, ohne sich mit komplizierten Tarifsystemen zu beschäftigen – und das immer zum günstigsten Tarif. Bis Ende 2021 werden 11.000 Verkaufsgeräte von Verkehrsunternehmen und Verbünden in die Lage versetzt, alle Formen des E-Tickets zu kontrollieren.
Im Mai 2018 wurde das Testfeld Autonomes Fahren in Karlsruhe eröffnet. Aktuell erproben Wissenschaftler des Forschungszentrums für Informatik, wie Elektrofahrzeuge unterschiedlicher Automatisierungsgrade in einem Karlsruher Parkhaus, dem sogenannten SmartEPark, selbstständig einparken können. Den Fahrerinnen und Fahrern bleibt Parkplatzsuche und Einparken erspart. Weil die Autos dichter gestellt werden können, wird Parkraum besser genutzt.
Durch die Förderung technischer Entwicklungen werden neue Lösungen für aktuelle Herausforderungen im Gesundheitssektor gezielt unterstützt. Schwerste Krankheiten werden wir mit der Digitalisierung besiegen.
Durch Kabinettsbeschluss vom Juli 2019 wurden an den vier Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm sogenannte Zentren für Personalisierte Medizin ausgewiesen. An Molekularen Tumor Boards (MTB) werden interdisziplinär die Daten und Befunde von Krebskranken diskutiert, bei denen keine leitliniengerechten Therapien mehr möglich sind, und auf Genomanalysen der Tumorzellen basierte individuelle Therapieentscheidungen getroffen. Hierbei entstehen qualitätskontrollierte, detailliert und strukturiert dokumentierte Datensätze, die für andere Patientinnen und Patienten genutzt werden sollen. Inzwischen liegen mehr als 3.000 Molekulare Tumor Boards-Fälle vor. Bei der bwHealthCloud, die diese Datensätze vernetzt und die Abfrage über ein Suchportal ermöglicht, läuft eine erste Testphase.
Im Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg wird auf Versuchsfeldern die Nutzung digitaler Technologien im Pflanzenbau getestet, etwa Warnsysteme für Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Eine App-Funktion für eine tiergerechtere Milchviehhaltung ist in Bearbeitung.
Um die Digitalisierung von kleinen und mittleren Unternehmen in der Fläche des Landes voranzutreiben, stehen ihnen zehn Anlaufstellen für Informationen, Experimente, Austausch, Vernetzung und Kooperation bereit. Diese regionalen Digital Hubs haben an allen Standorten (Heilbronn-Franken, Kurpfalz, Landkreis Böblingen, Neckar-Alb und Sigmaringen, Nordschwarzwald, Ostwürttemberg, Region Bruchsal, St. Georgen, Südbaden und Ulm/Alb-Donau/Biberach) ihre Arbeit aufgenommen. „Mit den Digital Hubs unterstützen wir vor allem kleine und mittlere Unternehmen dabei, innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln“, erläuterte Kretschmann.
„Um kleinen und mittleren Unternehmen neue Anwendungsfelder in der virtuellen und der erweiterten Realität – also der Virtual-Reality-/Augmented-Reality-Technologie – zu erschließen, haben wir inzwischen am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO eine Werkstatt für das „Applikationszentrum V/AR“ eingerichtet. Während der Arbeiten wurde eine neue AR-Technologie entdeckt, die die Einstiegskosten für mittelständische Unternehmen um 50 Prozent senken kann“, erläuterte Digitalisierungsminister Thomas Strobl.
„Digitale Angebote von Städten und Gemeinden ersparen Bürgerinnen und Bürgern Behördengänge. Sie sorgen dafür, dass Informationen leichter gefunden werden. Ziel muss sein: Das Amt kommt zum Bürger, und der Bürger nicht mehr zum Amt. Land und Kommunen haben im Rahmen der Digitalakademie@bw inzwischen als Test-Versionen fünf digitale Verwaltungsdienstleistungen, etwa die Meldebescheinigung und den Bewohnerparkausweis, für den Einsatz in den Rathäusern und Landratsämtern entwickelt. Die Umsetzung von 16 weiteren digitalen Verwaltungsprozessen läuft auf Hochtouren. Durch die Digitalakademie@bw wurden 523 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 312 Kommunen als Digitallotsen qualifiziert, um ihr Wissen in die Fläche zu tragen. Ziel ist es, rund 1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunalverwaltungen zu Digitallotsen zu qualifizieren“, so Digitalisierungsminister Thomas Strobl.
Zur Verbesserung des Bürgerservice in den Finanzämtern liefert der Steuerchatbot BW als elektronischer Assistent rund um die Uhr nach dem neuesten Stand Informationen über steuerrechtliche Regelungen. Dabei werden auch die Grenzen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) beim Aufbau von Wissensdatenbanken ausgelotet. Dank intelligenter Assistenzsysteme in der Justiz können inzwischen Dokumente in allen europäischen und einigen weiteren Sprachen ins Deutsche und Englische maschinell übersetzt und damit Sprachbarrieren in Gerichtsverfahren abgebaut werden.
Bei der Nutzung immer komplexerer und raffinierterer digitaler Anwendungen müssen Verbraucherinnen und Verbraucher besser geschützt werden. Daher wurde insbesondere die Online-Beratung und Online-Information der Verbraucherzentrale BW ausgebaut. „Ohne Datensicherheit wird die Digitalisierung bei Unternehmen und der Bürgerschaft keine Akzeptanz und kein Vertrauen finden. Nur wer für Sicherheit in den Netzen sorgt, wird mit seinen Innovationen erfolgreich sein können. Daher wollen wir die Cybersicherheit zu einem Markenzeichen Baden-Württembergs machen“, sagte Digitalisierungsminister Thomas Strobl.
Eine Cybersicherheitsagentur BW als zentraler Teil einer Cybersicherheitsstrategie für Baden-Württemberg soll die Arbeit der Ermittlungsbehörden koordinieren sowie Staat, Kommunen, Wirtschaft und Forschung bei der Cybersicherheit vernetzen. Die Cybersicherheitsagentur soll 2021 ihre Arbeit aufnehmen. Für den Aufbau als Landesoberbehörde stehen im Dop-pelhaushalt 2020/21 insgesamt 13 Millionen Euro insbesondere für mehr als 80 neue Personalstellen bereit.
Um kleine und mittlere Unternehmen bei der Entwicklung sicherer Softwaresysteme zu unterstützen, wurde im Oktober 2018 das Projekt Cyber-Protect gestartet. Mit sogenannten Quick Checks werden innovative Anwendungen von Unternehmen getestet, um Aussagen über den Sicherheitszustand der Systeme zu ermöglichen.
Das Sicherheitsforum BW, ein von Wirtschaft, Wissenschaft und dem Land gegründetes Gremium, hat eine Studie zum Stand der IT-Sicherheit in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) erstellen lassen, die konkrete Bedrohung durch eine Fall- und Schadensanalyse identifiziert und eine Bestandsaufnahme ihrer IT-Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen. Auch ein Sicherheitskonzept einschließlich Handlungsempfehlungen für präventive Schutzmaßnahmen für KMU wurde veröffentlicht.
Cyberangriffe stellen eine der größten Bedrohungen für die Wirtschaft dar. Dieser Herausforderung stellt sich die Cyberwehr. Als Kontakt- und Beratungsstelle für KMU sowie als Koordinierungsstelle bei Hackerangriffen vernetzt sie Sicherheitsbehörden, Wirtschaft und Wissenschaft. Derzeit befindet sich die Cyberwehr in einer Pilotphase, in welcher sie Unternehmen in den Stadt- und Landkreisen Karlsruhe, Rastatt und Baden-Baden unter-stützt.
Um Innovationen für die Menschen und den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg zu fördern, wollen wir die Gründung von digitalen Start-ups anstoßen. Mit dem Projekt Start-up BW Pre Seed werden gute Ideen schon dann gefördert, wenn private Investorinnen und Investoren oder Risikokapital-Gesellschaften noch nicht einsteigen. Die zur Verfügung stehenden 14 Millionen Euro wurden als Zuschüsse und Kofinanzierungen zu privaten Investitionen voll ausgeschöpft. Rund 60 Start-ups haben den Zuschlag erhalten.
Insbesondere im Bereich der Cybersicherheit sind neue Lösungen und gut ausgebildete Fachkräfte gefragt. Im IT Security LAB am Karlsruher CyberForum wird die Entwicklung von Start-ups und deren Produkte für einen begrenzten Zeitraum beschleunigt. Im Berichtszeitraum wurden bereits 18 Start-ups unterstützt. Die Neugründungen inlyse, BlackPin und Gardion wurden auf eine Finanzierung durch Start-up BW Pre Seed vorbereitet.
Damit das Land seine europäische Spitzenstellung bei Innovationen behält, fördert das Land auch die Spitzenforschung zur Gestaltung des digitalen Wandels. Mit renommierten Partnern aus Forschung und Wirtschaft wurde im Raum Tübingen/Stuttgart das Cyber Valley als Verbundforschungszentrum für intelligente Systeme gegründet. Dort werden Grundlagenforschung und Nachwuchsförderung in den Bereichen Maschinelles Lernen, Computer Vision und Robotik vorangetrieben. „Das Cyber Valley hat sich inzwischen zu einem internationalen Hotspot für Maschinelles Lernen entwickelt. Wir müssen in Europa bei der Spitzenforschung Kräfte bündeln, um bei der Entwicklung neuer KI-basierter Dienstleistungen und Produkte die Nase vorn zu behalten“, so Kretschmann.
Ein Großteil der zehn unabhängigen Forschungsgruppen wurde inzwischen eingerichtet. An den Universitäten Stuttgart und Tübingen sind vier neue KI-Professuren entstanden. Die Berufungsverfahren für zehn zusätzliche Juniorprofessuren im Rahmen des Förderprogramms „KI-BW“ an den Universitäten Freiburg, Heidelberg, Hohenheim, Konstanz, Mannheim und Ulm sowie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) laufen. Mit dem Start der Reallabore Künstliche Intelligenz wird für Anfang 2021 gerechnet. Ein öffentlicher Beirat für die ethischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von KI-Forschungsprojekten wurde im September 2019 eingesetzt.