Um dauerhaft wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen, will das Ausbildungsbündnis Baden-Württemberg die vielen Vorteile einer betrieblichen Ausbildung verstärkt aufzeigen. Darauf verständigten sich die Bündnispartner beim Spitzengespräch zur Ausbildungssituation am 22. November in Stuttgart. „Wir müssen deutlich machen, wie interessant und vielfältig die Ausbildungsberufe sind, dass die Ausbildung zahlreiche Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet und dass die Ausbildung eine gleichwertige Alternative zur akademischen Bildung darstellt“, sagte Arbeits- und Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut.
Der baden-württembergische Ausbildungsmarkt ist während der Corona-Krise erheblich unter Druck geraten. Bereits 2020 gab es deutlich weniger neu abgeschlossene Ausbildungsverträge und auch in diesem Jahr ist die Zahl der Neuverträge zum 30. September leicht gesunken. 2021 gab es im Bereich der Industrie- und Handelskammern 3,9 Prozent weniger und im Handwerk dagegen 0,4 Prozent mehr Neuverträge als im Vorjahr. Hintergrund ist ein starker Rückgang der Bewerberzahlen um 12,5 Prozent im Vergleich zu 2020. Gleichzeitig benötigen die baden-württembergischen Betriebe verstärkt Fachkräftenachwuchs: Von den bei der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg gemeldeten Ausbildungsstellen blieben zum 30. September 2021 über 10.000 unbesetzt.
„Die Berufsausbildung hat sich auch während der Corona-Pandemie bewährt. Für diejenigen, die im vergangenen Jahr in einem Ausbildungsverhältnis standen, verlief die Ausbildung überwiegend erfolgreich“, betont Hoffmeister-Kraut. Der Anteil vorzeitig gelöster Ausbildungsverträge ist 2020 auf 22 Prozent sogar gesunken – im Vorjahr lag der Anteil noch bei 23,8 Prozent. Der Anteil der erfolgreich bestandenen Abschlussprüfungen 2020 an allen Prüfungsteilnehmenden in Baden-Württemberg blieb stabil bei rund 94 Prozent.
Weiterhin sind die Übernahmechancen von Auszubildenden in Baden-Württemberg und die Perspektiven nach einer betrieblichen Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt ausgesprochen gut. Nach Auswertungen des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) wurden selbst im Corona-Jahr 2020 76 Prozent der Auszubildenden nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer betrieblichen Ausbildung von ihrem Betrieb übernommen. „Das zeigt den ungebrochen hohen Bedarf der Wirtschaft an beruflich qualifizierten Fachkräften. Gleichzeitig ist das ein starkes Argument für die Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung“, so die Ministerin.
Um die berufliche Ausbildung attraktiver zu machen und wieder mehr Jugendliche für die berufliche Ausbildung zu gewinnen, initiierte das Wirtschaftsministerium zum Start des aktuellen Ausbildungsjahrs die Ausbildungsoffensive „Restart Ausbildung“. Gemeinsam mit vielen Kammern im Land hat das Ministerium die landesweit einheitliche AzubiCardBW für Auszubildende eingeführt. Auszubildende können mit dieser Karte genauso unkompliziert ihren Status nachweisen wie Studierende mit ihrem Studierendenausweis – und Vergünstigungen nutzen. Die neue Karte erhöht die Sichtbarkeit der beruflichen Ausbildung, stärkt die Gleichwertigkeit mit der akademischen Bildung und bietet attraktive Vorteile für Auszubildende. Unter dem Dach der Ausbildungsoffensive fördert das Wirtschaftsministerium ab 2022 zudem neue, innovative Projekte zur Digitalisierung der Berufsorientierung und Ausbildungsvermittlung und der überbetrieblichen Ausbildung. „Die Jugendlichen sind ‚Digital Natives‘. Sie erwarten die digitale Ansprache und digitale Inhalte – und das auch ganz unabhängig von Corona“, so Hoffmeister-Kraut. Digitale Inhalte und neue Elemente wie Virtual Reality oder Gamification sollen die berufliche Ausbildung attraktiver machen. Zudem hat das Wirtschaftsministerium zum 1. September 2021 die Förderung der Verbundausbildung im Rahmen des Programms „Azubi im Verbund – Ausbildung teilen“ von 2.000 auf 4.000 Euro pro Auszubildenden verdoppelt.
Ausbildungsbilanz 2021 (Stichtag 30. September 2021):
Die Zahlen von Ausbildungsstellen und Bewerberinnen und Bewerbern auf Ausbildungsstellen im Vergleich mit dem Ausbildungsjahr 2020/2021 sind auch weiterhin rückläufig, überwiegend infolge der Corona-Pandemie.
Weniger bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Bewerberinnen und Bewerber blieben zum 30. September 2021 unversorgt, das heißt die Bewerberinnen oder Bewerber haben weder einen Ausbildungsplatz noch ein alternatives Angebot erhalten. Alternative Angebote sind beispielsweise ein Platz an einer beruflichen Schule, der Besuch einer Qualifizierungsmaßnahme oder eine Arbeitsstelle:
- Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ist im Vorjahresvergleich um 12,5 Prozent auf 52.296 deutlich gesunken.
- Zum 30. September 2021 suchten noch insgesamt 7.646 Jugendliche und junge Erwachsene einen Ausbildungsplatz. Davon blieben 1.118 Personen unversorgt, 11,6 Prozent weniger als im Vorjahr. 6.528 von ihnen nahmen eine Alternative auf, das sind 11,9 Prozent weniger als im vergangenen Jahr.
- Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen ist im Vorjahresvergleich um 5,7 Prozent auf 73.268 gesunken.
- 10.174 unbesetzten Ausbildungsstellen (24,7 Prozent mehr als im Vorjahr) stehen rechnerisch 7.646 Ausbildungsplatznachfragen gegenüber. Es gibt somit 2.528 weniger Ausbildungsnachfragen als unbesetzte Ausbildungsstellen.
Statements der Bündnispartner
„Die aktuelle Situation am Ausbildungsmarkt verdeutlicht, dass wir in der beruflichen Orientierung durch die Corona-Pandemie eine Delle hatten. Unsere zahlreichen Angebote an den Schulen konnten nicht im sonst üblichen Rahmen durchgeführt werden. Wir haben zwar digitale Angebote bereitgestellt, doch die Erfahrung, die man durch das Handanlegen vor Ort macht, können sie nicht ersetzen. Wir sind deshalb umso mehr gefordert, in der beruflichen Orientierung so viel Angebote wie möglich zu machen um wieder mehr Jugendliche in die Ausbildung zu bekommen“, sagt die Staatssekretärin des Kultusministeriums, Sandra Boser MdL.
Christian Rauch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit, macht insbesondere auf die Angebote der Arbeitsagenturen und Jobcenter aufmerksam: „Wir unterstützen junge Menschen nicht nur bei der Berufsorientierung, sondern greifen ihnen im Bedarfsfall auch bei der betrieblichen Ausbildung unter die Arme. Diese assistierte Ausbildung steht all denen zur Verfügung, die aus verschiedenen Gründen – seien es schlechte Noten, Prüfungsangst oder Sprachprobleme – ihre Ausbildung nicht beginnen, fortsetzen oder abschließen können. Unsere Agenturen und Jobcenter vor Ort begleiten aber nicht nur die Ausbildungswilligen und Auszubildenden; sie stehen auf Wunsch auch den Ausbildungsbetrieben, unseren Sozialpartnern, administrativ und organisatorisch zur Seite. So können wir zur Stabilität in Ausbildungsverhältnissen beitragen. Junge Menschen sollten sich überlegen, ob sie im derzeit sehr breiten Angebot an Ausbildungsplätzen nicht doch eine Chance zur Zukunftsplanung entdecken.“
BWHT-Präsident Rainer Reichhold: „Noch immer steht der Ausbildungsmarkt unter dem Einfluss der Corona-Pandemie. Und noch immer verzeichnen Unternehmen vielerorts wirtschaftliche Einbußen, es besteht große Unsicherheit mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen. Auch eine berufliche Orientierung junger Menschen ist nach wie vor nur eingeschränkt möglich. Das zeigt sich deutlich in den Ausbildungszahlen; gerade an weniger Bewerberinnen und Bewerbern für die duale Ausbildung. Trotz des großen Engagements der Wirtschaft können viele Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Die duale Ausbildung ist jedoch Garant und Grundlage für einen gelingenden Start in das Berufsleben. Und sie ist der Grundpfeiler für die Stärke der baden-württembergischen Wirtschaft. Umso wichtiger ist es, auch die Herausforderungen jenseits von Corona anzugehen und die Attraktivität einer dualen Ausbildung noch mehr zu verdeutlichen. Hierzu zählt eine fundierte und ergebnisoffene Berufsorientierung – gerade auch an Gymnasien. Auch die Mobilität von Auszubildenden muss weiter gestärkt werden - durch die schnelle und flächendeckende Einführung eines landesweiten Azubi-Tickets und die Schaffung kostengünstigen Wohnraums für Auszubildende als Antwort auf Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt. Den Aussagen im Koalitionsvertrag von Baden-Württemberg müssen jetzt zügig Taten folgen.“
Julia Friedrich, Bezirksgeschäftsführerin DGB Baden-Württemberg: „Eine abgeschlossene Berufsausbildung bietet einen ausgezeichneten Start ins Berufsleben. Den Rückgang der Bewerberinnen und Bewerber sehen die Gewerkschaften daher als sehr bedenklich an. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass insbesondere in Bereichen wie der Metall- und Elektrobranche zuletzt massiv Ausbildungsplätze abgebaut wurden. Der Fachkräftemangel von morgen ist damit hausgemacht und programmiert. Durch die Pandemie befinden sich viele junge Menschen in einer abwartenden Haltung. Sie werden sich voraussichtlich in den kommenden Jahren auf eine Ausbildungsstelle bewerben - zusätzlich zu den regulären Schulabgängerinnen und Schulabgängern. Um ihnen eine Perspektive zu bieten und den Fachkräftebedarf zu decken, müssen jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, allen Interessierten einen Ausbildungsplatz zu garantieren.“