Beim fünften Wirtschaftsgipfel Baden-Württemberg – EU, der am 25. und 26. Oktober in Brüssel stattfindet, forderte Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut „ein neues Mindset und einen neuen Spirit in der EU“.
„Wir benötigen ein neues Mindset und einen neuen Spirit in der EU“, forderte Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut im Rahmen des Wirtschaftsgipfels Baden-Württemberg – EU, der am 25. und 26. Oktober zum fünften Mal stattfand. Die über 100-köpfige Gesamtdelegation aus Baden-Württemberg kam in Hintergrundgesprächen und öffentlichen Foren mit Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Institutionen zusammen und diskutierte in Brüssel die Herausforderungen der aktuellen Transformationsprozesse in Baden-Württemberg und Europa. Hoffmeister-Kraut: „Die überaus hohe Beteiligung aus Baden-Württemberg macht deutlich, wie sehr unsere Wirtschaft an einem engen Austausch mit den EU-Institutionen zu den brennenden Themen interessiert ist. Mit dem Wirtschaftsgipfel haben wir europaweit sowohl in der Art der Partnerschaft, in der Form der Gestaltung als auch in der Größe der Gesamtdelegation aus Baden-Württemberg ein herausragendes Format entwickelt. Es handelt sich um die größte Anzahl an Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern aus Baden-Württemberg, die je in solch einem Kontext zusammenkam.“
Hoffmeister-Kraut forderte einen Bürokratieabbau ein: „Über 50 Prozent der Bürokratielasten kommen von der EU. Wir brauchen eine Entlastung und ein Belastungsmoratorium für den Mittelstand.“ In diesem Zusammenhang regte sie einen europäischen „KMU Quarterback“ an, der von Anfang an bei allen EU-Dossiers hin auf eine KMU-gerechte Umsetzung steuern müsse. Die Wirtschaftsministerin betonte, dass die baden-württembergischen KMU diese Entlastungen auch brauchen, um die gewünschte ökologische Transformation erfolgreich bewältigen zu können. „Der Staat kann die Wirtschaft nicht zentral von oben transformieren“, betonte die Ministerin. Wichtig ist Hoffmeister-Kraut, einen neuen Spirit in die EU zu tragen. Sie fordert ein grundlegend neues Mindset: „Die Balance zwischen den Zielen von Transformation und Wettbewerbsfähigkeit muss wiederhergestellt werden“, betonte sie.
Als Negativbeispiel führte Hoffmeister-Kraut die europäische Medizinprodukte-Verordnung (MDR) an. Hier sei die EU über das Ziel herausgeschossen und habe negative Folgewirkungen nicht beachtet: „KMU ziehen sich mehr und mehr aus dem Markt der Medizinprodukte zurück, gerade auch bei Nischenprodukten.“ Sie verweist darauf, dass neue Innovationen hier unterblieben und sich dieses Feld aufgrund der neuen Vorgaben unternehmerisch nicht mehr lohne.
Hoffmeister-Kraut warb dafür, aus diesen Erfahrungen zu lernen: Auch beim Umgang mit den PFAS-Chemikalien sind Augenmaß und umsetzbare Regelungen unerlässlich: „Gerade auch als Basis für die Zukunftstechnologien Wasserstoff, Batterie und Windkraft oder auch für die gesamte Medizintechnik müssten hier sinnvolle Übergangsregelungen geschaffen werden.“
Gleichzeitig setzte sie sich in Brüssel für wettbewerbsfreundliche Rahmenbedingungen ein: Die Wirtschaftsministerin betonte die Rolle der wirtschaftsstarken Regionen der EU und forderte gleiche Rahmenbedingungen und insbesondere im Beihilferecht einen fairen Wettbewerb: „Die starken Regionen Europas müssen als Zugpferde gestärkt werden, denn diese haben eine positive Strahlkraft für die gesamte europäischen Wirtschaft.“
Im Weiteren warb die Wirtschaftsministerin in Brüssel für Wasserstofftechnologien aus Baden-Württemberg. An Europa läge es nun, die richtigen Weichen bei der Infrastruktur zu stellen.
Bei Fragen zur globalen Rolle der EU setzt Hoffmeister-Kraut auf partnerschaftliche Modelle: „30 Jahre Binnenmarkt sind ein Erfolgsmodell. Unsere exportstarke Wirtschaft benötigt jedoch zusätzlich weitere Handelsabkommen, die verlässliche Rahmenbedingungen für langfristige Beziehungen schaffen.“ In diesem Sinne begrüßte sie auch die europäischen Bestrebungen hin zu Rohstoff-Partnerschaften.
Bei der Innovationspolitik legte sie einen Schwerpunkt auf die Künstliche Intelligenz: „Wir benötigen eine innovationsfreundliche Regulierung, die für die europäischen KI-Unternehmen gute Rahmenbedingen schafft.“ In Brüssel verwies Hoffmeister-Kraut auch auf beispielhafte Modelle wie den Innovationspark Künstliche Intelligenz (Ipai) oder das CyberValley.
Stimmen wichtiger Partner beim Wirtschaftsgipfel
UBW-Präsident Dr. Rainer Dulger: „Die europäische Integration ist das erfolgreichste Projekt unserer Zeit. Damit das so bleibt, brauchen wir wieder mehr wirtschaftliche Dynamik in Europa. Neue Ideen lassen sich schlecht in alten, abgezäunten Grenzen entwickeln. Sie brauchen Freiraum und wo nötig auch die richtige Unterstützung. Konkret heißt das: Die Unternehmen benötigen vor allem flexible und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen. Wir wollen eine nachhaltige Transformation sicherstellen. Der „Green Deal“ sollte deshalb zu einer Wachstumsstrategie weiterentwickelt werden, die sowohl internationale Wettbewerbsfähigkeit garantiert als auch Arbeitsplätze und Wohlstand schafft.“
Christian O. Erbe, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages: „Ohne neue Wirtschaftsagenda kann Europa nicht wettbewerbsfähig bleiben. Eine Innovationsoffensive mit echten wirtschaftlichen Anreizen muss das ständige Mehr und Mehr an Bürokratie und staatlicher Wirtschaftslenkung ersetzen. Das geht nur mit einem entschiedenen Kurswechsel, der auch endlich Anforderungen des Mittelstands angemessen ins Zentrum von Rechtsakten rückt.“
Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands e.V.: „Entlastung schaffen und ein nachhaltiges Wachstum in Europa ermöglichen: Dazu brauchen wir mehr Selbstverantwortung seitens der Gesellschaft und Wirtschaft, die Konzentration der Politik auf die Gestaltung des Rahmens sowie den mutigen Abbau von Bürokratie und Regulierung auf allen Ebenen verbunden mit der ehrlichen Bereitschaft zur Aufgaben- und Standardkritik.“
Carmen Mittler, Vorsitzende des Bankenverbands Baden-Württemberg e.V.:
„Europa benötigt einen leistungsfähigen Kapitalmarkt, um die Wirtschaft zu stärken. Seit Jahren besteht Einigkeit, dass ein vertiefter europäischer Kapitalmarkt, mit einem leistungsfähigeren und global wettbewerbsfähigen Finanzsystem – inklusive der Banken –, gebraucht wird. Europa benötigt einen Rahmen, der Banken mehr Spielraum für die Kreditvergabe lässt, der Kapitalmarktfinanzierungen erleichtert und Wachstum ankurbelt. Die Kapitalmarktunion ist ein wichtiger Hebel, um Europa wieder nach vorne zu bringen. Nur ein integrierter Kapitalmarkt, der offen und liquide ist, wird es Europa ermöglichen, privates Kapital in dem Umfang zu mobilisieren, wie es für die Transformation unserer Wirtschaft benötigt wird.“
Rainer Reichhold, Handwerk BW-Präsident: „Handwerksbetriebe stehen per se für Nachhaltigkeit: Sie reparieren, sanieren, beraten, warten, planen und bilden aus. Wir unterstützen daher auch grundsätzlich die Klimaziele der Europäischen Union. Aber: Diese müssen durch Anreize, nicht durch immer neue Pflichten erreicht und nicht existenzgefährdend für den Mittelstand umgesetzt werden. Seit Längerem wird beispielsweise über die Einführung einer Sanierungspflicht für die energetisch schlechtesten Gebäude diskutiert. Eine solche Pflicht darf es aus Sicht des baden-württembergischen Mittelstandes nicht geben. Auch im Bereich der Kreislaufwirtschaft werden zurzeit neue EU-Regeln erarbeitet, die wir in der Zielsetzung zwar unterstützen, die aber mit Blick auf die Umsetzbarkeit teilweise nicht durchdacht sind.“
Sparkassenpräsident Peter Schneider verwies auf die Liste an neuen Aufgaben, die auf die Finanzwirtschaft mit der EU-Taxonomie zukomme. „Ohne Frage befasst sich die Finanzbranche intensiv mit den Folgen des Klimawandels sowie mit weiteren Nachhaltigkeitsthemen“, so Schneider. „Auch wenn wir im Kern die Ziele der EU-Taxonomie unterstützen, erleben wir einmal mehr, dass uns eine Vielzahl an Vorschriften und Regularien aufgebürdet wird, die uns sehr große Kraftanstrengungen abverlangen. Damit fügt sich die noch kurze Geschichte der Taxonomie in eine lange Geschichte meldepflichtiger Regulatorik, bei denen die Finanzindustrie zu Bütteln der Politik gemacht wird und die Vorstellungen der EU bei den Kundinnen und Kunden umsetzen muss.“
Südwestmetall-Vorsitzender Dr. Joachim Schulz: „Mit Blick auf die historisch einmalige Kombination von Krisen und die damit verbundenen Herausforderungen in Europa sind Freihandelsabkommen ein wichtiges Instrument. Gleichzeitig gilt es, die klassische Ordnungspolitik durch wirtschafts- und sicherheitspolitische Maßnahmen zu ergänzen. Die Halbleiterproduktion ist derzeit im Fokus – und sollte es auch sein, weil sich viele Megatrends in der Wirtschaft nur mit Chips umsetzen lassen. Europas digitale Souveränität muss entschieden vorangetrieben werden. Dabei sollte die EU ihre Kräfte bei der Förderung von Schlüsseltechnologien bündeln. Unser Kontinent braucht weiterhin eine global wettbewerbsfähige Industrie, die mit ihren Innovationen die Weltspitze bildet.“
Weitere Informationen zum Wirtschaftsgipfel
Auf Einladung von Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut diskutierten am 25. Oktober und 26. Oktober im Rahmen des „Wirtschaftsgipfels BW – EU“ Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Institutionen mit den Spitzen der baden-württembergischen Wirtschaftsverbände die Herausforderungen der aktuellen Transformationsprozesse in Baden-Württemberg und Europa. Der Wirtschaftsgipfel fand zum fünften Mal statt, diesmal aber neu zweitägig und neu mit großem Abendempfang. Er stand in diesem Jahr unter dem Titel „Transformation gestalten – Wettbewerbsfähigkeit sichern“. Alleine die diversen Delegationen aus Baden-Württemberg umfassen mehr als 100 Teilnehmer.
Alles Infos und Streaming einerr Veranstaltung (Mittwoch von 16.30 bis 18.00 Uhr) unter:
Das Programm und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier:
Startseite | Wirtschaftsgipfel Baden-Württemberg - EU 2023 (b2match.com)
Fotos vom Wirtschaftsgipfel finden Sie im Nachgang in unserer Mediathek