Am Mittwoch, 13. November 2024, fand in Karlsruhe die achte Jahresveranstaltung des Strategiedialogs Automobilwirtschaft Baden-Württemberg (SDA) statt. Thema war insbesondere die derzeit herausfordernde Situation in der Automobilbranche sowie die Auswirkungen der politischen Lage in Deutschland und den USA. Ministerpräsident Winfried Kretschmann forderte in diesem Zusammenhang entscheidende Weichenstellungen, damit sich der Automobilstandort Baden-Württemberg mit international wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen zukunftsfest aufstellen kann.
„Die vergangene Woche war eine Zäsur, die auch Auswirkungen auf die Automobilbranche haben wird“, sagte Ministerpräsident Kretschmann in Karlsruhe. „Klar ist: Baden-Württemberg muss auch in Zukunft Automobilstandort bleiben, mit überzeugenden Produkten und sicheren Arbeitsplätzen. Neben stabilen politischen Verhältnissen braucht es deshalb wirtschaftliche Reformen. Dazu gehören unter anderem erhebliche Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes, Rahmenbedingungen, die international wettbewerbsfähig sind und eine innovationsfreundliche Regulierung auf EU-Ebene, um die gesetzten Ziele erreichen zu können. Ich begrüße deshalb sehr, dass auch die EU-Kommission und deren Präsidentin Ursula von der Leyen erkannt haben, wie wertvoll Formate wie unser Strategiedialog Automobilwirtschaft sind und ein solches auf europäischer Ebene etablieren möchten. Baden-Württemberg wird sich dort nach Kräften einbringen. Angesichts der geopolitischen Lage brauchen wir mehr denn je ein starkes Europa und müssen bei den drohenden Strafzöllen gegenüber den USA und China weiter auf Verhandlungslösungen setzen.“
„Die Transformation in der Automobilbranche ist mit tief schneidenden, mit schmerzhaften Anpassungsprozessen verbunden“, sagte die Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut. „Unternehmen haben zuletzt wiederholt substanzielle Stellenstreichungen angekündigt. Auch verläuft der Hochlauf der Elektromobilität nicht nach Plan. Es kommt nun entscheidend darauf an, den Wertschöpfungsanteil baden-württembergischer Standorte zu sichern und darauf, dass die Unternehmen bei Zukunftsinvestitionen am Standort Baden-Württemberg festhalten. Um es ganz klar zu sagen: Es geht jetzt um alles. Es geht um den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, um Wertschöpfung, um Reformfähigkeit, um unseren Wohlstand.“
Gemeinsame Free- and Open-Source-Software soll Kosten für Unternehmen senken
Im Zuge der Veranstaltung wurde eine gemeinsame Erklärung (Letter of Intent) unterzeichnet, um die Zusammenarbeit bei Free- and Open-Source-Software (FOSS) in der baden-württembergischen Automobilwirtschaft zu stärken. „Software wird zur treibenden Kraft des modernen Autos – und genau hier setzen wir an: Unser Ziel ist es, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen fit für diesen Wandel zu machen“, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann. „Durch die Finanzierung einer zentralen Anlaufstelle bei e-mobil BW und spezielle Beratungsangebote unterstützen wir die Branche gezielt, um rechtssicher und zukunftsfähig mit Open-Source-Software zu arbeiten. Mit der Vereinbarung zur Förderung von Open-Source-Software schaffen wir konkrete Standortvorteile für die Automobilbranche in Baden-Württemberg. Das Verkehrsministerium setzt damit einen zukunftsweisenden Impuls für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit im Autoland Baden-Württemberg.“
Neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde der Letter of Intent vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden und Mitglied des Vorstands Finanzen und IT der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG Lutz Meschke, dem Vorstandsvorsitzenden der Mercedes-Benz Group AG Ola Källenius, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH Dr.-Ing. Stefan Hartung, dem Präsidenten des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags Christian O. Erbe sowie für den InnovationsCampus Mobilität der Zukunft von Prof. Dr. Thomas Hirth, dem Vizepräsident Transfer und Internationales des Karlsruher Instituts für Technologie, unterzeichnet. Der Wertschöpfungsanteil von Software in Fahrzeugen steigt seit Jahren stark an. Free- and Open-Source-Software wird damit zunehmend zu einem wichtigen Erfolgsfaktor im internationalen Wettbewerb. Unternehmen bekommen so auch die Möglichkeit, durch Standards Kosten zu sparen und voneinander zu lernen. Aus dem Letter of Intent soll eine „The FOSS LÄND Community“ entstehen, in der insbesondere kleine und mittlere Unternehmen die Vorteile von Free- and Open-Source-Software erfahren. (siehe Anlage).
Überprüfung der CO2-Grenzwerte in der EU soll faktisch vorgezogen werden
Kretschmann forderte die EU anlässlich der Jahresveranstaltung erneut dazu auf, mehr Flexibilität bei der Erreichung der Flottengrenzwerte zuzulassen. Mit den sogenannten Flottengrenzwerten ist geregelt, wie viel klimaschädliches CO2 die Fahrzeuge künftig ausstoßen dürfen. „Die EU sollte die Überprüfung der Grenzwerte um ein Jahr faktisch vorziehen, damit schnell Klarheit geschaffen wird“, so der Ministerpräsident. „Es kann nicht sein, dass die EU Vorgaben für Produkte macht, für die dann die notwendige Infrastruktur fehlt. Baden-Württemberg hat hier seine Hausaufgaben gemacht.“
60 Prozent der öffentlichen Ladeinfrastruktur im PKW-Bereich in der EU entfallen aktuell auf die drei Länder Deutschland, Frankreich und die Niederlande. Für einen beschleunigten Hochlauf der Elektromobilität müsse der Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie der Ausbau der H2-Tankinfrastruktur in der gesamten EU massiv beschleunigt werden. Europa brauche, so Kretschmann, innovationsfreundliche Regulierung, welche die Erreichung der Klimaziele ermögliche und gleichzeitig die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie stärke. Baden-Württemberg zählt heute im Ländervergleich zu den Spitzenreitern bei den öffentlich zugänglichen Pkw-Ladepunkten. Künftig soll auch die Ladeinfrastruktur für Lkw weiter ausgebaut werden. Baden-Württemberg geht auch beim Bürokratieabbau voran und wird beispielsweise als erstes Bundesland die Baugenehmigung für Trafos von Ladestationen abschaffen – sowohl bei privaten als auch gewerblichen Anlagen. In den letzten zehn Jahren wurden von Seiten des Landes im Zuge der Innovations- und Zukunftsagenda fast 25 Milliarden Euro an Investments angeschoben und in relevante Zukunftstechnologien von der Batteriezelle, über Künstliche Intelligenz bis zu Greentech investiert. Weitere Ergebnisse und Informationen über Aktivitäten innerhalb des SDA finden sich im aktuellen Fortschrittsbericht (siehe Anlage).
Im Strategiedialog Automobilwirtschaft BW arbeitet die Landesregierung Baden-Württemberg bereits seit dem Jahr 2017 gemeinsam mit der Automobilwirtschaft, Wissenschaft & Forschung, Zivilgesellschaft sowie Arbeitnehmer- und Umweltverbänden daran, in der baden-württembergischen Leitbranche Wertschöpfung und Arbeitsplätze am Standort sichern und zum Vorreiter einer klimaschonenden und intelligenten Mobilität zu werden.
Weitere Informationen finden Sie unter http://www.sdabw.de/
Weitere Stimmen zur 8. Jahresveranstaltung des SDA BW:
Vorstandsvorsitzende der Mercedes-Benz-Group AG Ola Källenius: „Die Autoindustrie befindet sich in einer nie dagewesenen Umbruchphase. Gleichzeitig ist das makroökonomische Umfeld, in dem wir uns bewegen, herausfordernder denn je. Wir bei Mercedes-Benz halten an unserem strategischen Ziel fest, dass unsere Neuwagenflotte bis 2039 über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg bilanziell CO2-neutral[1] werden soll. Auf dem Weg dorthin ist der enge und offene Austausch mit der Politik sehr wichtig. Denn wir brauchen mutige politische Entscheidungen, damit die industriepolitischen Weichen für die Zukunft richtig gestellt werden und der heimische Standort wieder wettbewerbsfähiger wird.“
Stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Vorstand für Finanzen und IT der Porsche AG; Lutz Meschke: „Der Strategiedialog Automobilwirtschaft ist eine wichtige Initiative für die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand am Standort Baden-Württemberg. Dabei müssen wir mehr denn je noch entschlossener vorgehen. Es geht darum, einer drohenden Deindustrialisierung entgegenzuwirken und damit den sozialen Frieden zu sichern. Ein vielversprechendes Leuchtturmprojekt ist die Free- and Open-Source-Software-Kollaboration. Ich freue mich über die heutige Unterzeichnung des zugehörigen Letters of Intent. Ein Ziel ist es, zusammen mit den Partnern ein Open-Source-Netzwerk für kleinere und mittlere Unternehmen aufzubauen, Synergien zu nutzen und Standards zu etablieren.“
Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH Stefan Hartung: „Die Lage in der Automobilindustrie ist ernst. Die Kluft zwischen politischen Zielen und wirtschaftlicher Realität ist groß. Der EU-Rahmen zur Minderung von CO2-Emissionen im Verkehr sollte so weiterentwickelt werden, dass ein fairer Wettbewerb aller Technologien stattfinden kann. Ziele und Rahmenbedingungen müssen besser aufeinander abgestimmt werden – das bedeutet vor allem volle Kraft voraus beim Auf- und Ausbau der Infrastruktur für E-Mobilität und Wasserstofftechnik. Genauso wichtig ist eine global wettbewerbsfähige Standortpolitik, die Produktionskosten mindert, Bürokratie abbaut und den Erhalt attraktiver Arbeitsplätze gezielt in den Blick nimmt. Wir erwarten vom Strategiedialog weiterhin deutliche Signale in Richtung Berlin und Brüssel, denn die Betroffenheit von Herstellern und Zulieferern ist gerade in Baden-Württemberg besonders groß.“
Vorstandsvorsitzender EnBW Dr. Georg Stamatelopoulos: „Die neue Energie- und die neue Mobilitätswelt brauchen vernetzte, ganzheitliche Lösungen über Branchengrenzen hinweg. Wir müssen wo es geht Kosten, insbesondere durch Überregulierung, vermeiden – auch, um das Vertrauen der Verbraucher nicht zu verlieren. Als EnBW bauen wir heute die Infrastruktur der Zukunft. Mit unserem Ladeangebot ist die Elektromobilität bereits heute alltagstauglich und sicher.“
Bezirksleiterin der IG Metall Baden-Württemberg Barbara Resch: „Die gesamte Automobilindustrie im Land steht vor gewaltigen konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen. Daher ist es wichtig, im Rahmen des Strategiedialogs zu erörtern, wie Wertschöpfung und Beschäftigung unter veränderten Rahmenbedingungen dauerhaft gesichert werden können. Um die Erfolgsgeschichte Baden-Württembergs als Anbieter technologisch führender Mobilitätslösungen fortzuschreiben, bedarf es einer klugen, aktiven Industrie- und Standortpolitik. Jetzt gilt es, Strukturbrüche zu vermeiden, Arbeitsplätze zukunftsfest zu machen, Investitionen und Innovationen voranzutreiben sowie die Beschäftigten von Beginn an in die notwendigen Umbauprozesse einzubinden. Wir als IG Metall sind dazu bereit!“
Anlagen: