Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut diskutierte am 28. und 29. Mai mit Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Union und den Spitzen der Südwest-Wirtschaftsverbände den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Europa und Baden-Württemberg. Der diesjährige „Digitale Wirtschaftsgipfel Baden-Württemberg – EU“ widmete sich dem Thema „Wege aus der Corona-Krise“. Die Ministerin forderte grundsätzlich einen stärkeren Einsatz der EU beim Wiederhochfahren der europäischen Wirtschaft. „Wir brauchen eine Europäische Union, die jetzt die richtigen Weichen für unsere Unternehmen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau stellt“, erklärte die Wirtschaftsministerin heute (28. Mai) in Stuttgart. Dazu müsse die EU den Mittelstand, die Leitbranchen und Zukunftstechnologien in den Blick nehmen.
Insbesondere habe die Krise gezeigt, dass die EU resilienter und unabhängiger werden müsse. „Die EU muss einen Plan entwickeln, wie wir in den versorgungsrelevanten Bereichen unabhängiger werden können“, forderte Hoffmeister-Kraut. Eine Möglichkeit sei das Instrument der „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI). „Im Bereich der Batteriezellfertigung geht die EU hier bereits beispielhaft voran. Aus meiner Sicht muss dies auf die Herstellung und Forschung im Bereich der Medizin und Medizinprodukte ausgeweitet werden. Wir brauchen eine verlässliche europäische Versorgung medizinischer Schutzausrüstung und wichtiger Medikamente.“
„Baden-Württemberg ist wie kaum ein anderes Bundesland auf internationale Lieferketten und grenzüberschreitende Zusammenarbeit angewiesen. Zudem besitzen wir einen starken Mittelstand, der ein unersetzlicher Teil unserer Wirtschaft ist. Ich rufe die EU deshalb dazu auf, sich hier auf allen Ebenen einzusetzen. Zum einen müssen die Lieferketten wieder funktionieren und zum anderen müssen beispielweise bei der Entsendung von Fachkräften, Monteuren und Schulungspersonal die nationalen Hürden abgebaut werden“, appellierte Hoffmeister-Kraut zur Unterstützung des Mittelstands. Zudem sei es für die langfristige Erholung der Wirtschaft wichtig, die Lockerung der Beihilfevorschriften fortzusetzen. Davon könnten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen profitieren. Besonders betroffen von der Corona-Krise sei außerdem die Automobilindustrie, die zusätzlich in der Transformation stecke. „Die Automobilindustrie garantiert europaweit unzählige Arbeitsplätze und ist einer unserer Innovationsmotoren. Dieser Branche fehlt derzeit der finanzielle Spielraum für Zukunftsinvestitionen. Ich setze mich deshalb für die Aussetzung der Strafzahlungen ein“, so die Ministerin weiter. Ferner würde sie die Pläne einer Innovationsprämie auf europäischer Ebene anregen. Trotzdem sei klar, dass man nicht hinter den bestehenden Klimaschutzzielen zurückbleiben dürfe – hier sei ein Fokus auf marktwirtschaftliche Instrumente notwendig.
Ein weiteres Schwerpunktthema war die Innovationspolitik: „Europäische Kooperation ist auch in der Zukunft der Schlüssel zum Erfolg. Wenn wir weltweit wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir stärker in Zukunftstechnologien investieren“, erklärte Hoffmeister-Kraut. Als Beispiele nannte sie Quantencomputing, Wasserstoff oder Künstliche Intelligenz. Das Wirtschaftsministerium sei mit der Machbarkeitsstudie zu einem KI-Innovationspark bereits auf dem richtigen Weg. „Wir wollen Baden-Württemberg und Europa zu einem attraktiven KI-Hotspot machen.“ Es sei geplant, den KI-Innovationspark eng mit der EU zu verzahnen und EU-Fördermittel zu beantragen. „Die Förderung von Innovationen schafft die Voraussetzungen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft“, so die Wirtschaftsministerin.
Dr. Stefan Wolf, Vorsitzender von Südwestmetall Baden-Württemberg, betonte, dass die absolut außergewöhnliche Situation auch außergewöhnliche Antworten erfordere: „Mit ihrem Wiederaufbauplan hat die EU-Kommission aus unserer Sicht ein starkes Signal der europäischen Solidarität gesetzt, denn unsere exportorientierte Industrie ist ganz besonders darauf angewiesen, dass die wirtschaftliche Erholung alle europäischen Märkte umfasst. Wir haben Verständnis, dass die EU dabei Zukunftstechnologien zur CO2-Vermeidung und zur Digitalisierung fördern will. Allerdings zielt dies an weiten Teilen der aktuellen deutschen und europäischen Industriestruktur vorbei. Wird der Fokus zu einseitig auf die Zukunft gerichtet, hilft das nur wenig, um die Konjunktur jetzt sofort wieder in Gang zu bringen und damit Arbeitsplätze zu sichern.“
Europäische Wachstumsimpulse für den Mittelstand zur Überwindung der Corona-Krise, eine Verringerung der Handelshemmnisse und Erleichterungen bei der Bankenregulatorik – dies fordern die fünf großen Wirtschaftsverbände im Südwesten in einem gemeinsamen Positionspapier. Unterzeichner des Positionspapiers sind der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT), der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK), der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband (BWGV), der Sparkassenverband Baden-Württemberg (SVBW) und der Bankenverband Baden-Württemberg. Alle fünf Wirtschaftsverbände im Südwesten betonen die große Bedeutung der Kooperation und loben in diesem Zusammenhang besonders den jährlich stattfindenden Wirtschaftsgipfel mit dem baden-württembergischen Wirtschaftsministerium.
„Kooperation ist in Krisenzeiten von ganz besonderer Bedeutung. Das zeigt die enge Verbindung zwischen mittelständischen Unternehmen und den regionalen Banken vor Ort. Diese Partnerschaft macht unsere Wirtschaft in Baden-Württemberg stark. Die EU sollte die Banken in die Lage versetzen, ihren wichtigen Aufgaben weiterhin nachzukommen“, fordert BWGV-Präsident Dr. Roman Glaser. „Um die Krise langfristig bewältigen zu können, brauchen wir nicht zuletzt die Kooperation auf europäischer Ebene. Es ist essenziell, dass die EU ihren Haushalt und ihre politischen Initiativen konsequent auf die Unterstützung des Wiederanlaufs der Wirtschaft ausrichtet. Dazu gehört auch ein europäischer Wiederaufbaufonds, der die mittelständischen Strukturen ganz besonders ins Auge fassen muss.“ Mehr als 99 Prozent der Wirtschaft in Baden-Württemberg besteht aus kleinen und mittleren Unternehmen.
„Die systemische Relevanz von KMU in der Krise, das veränderte wirtschaftliche Umfeld und die finanziellen Herausforderungen müssen sich in der europäischen KMU-Strategie widerspiegeln und den neuen Herausforderungen des Mittelstands in Europa Rechnung tragen“, sagt BWHT-Präsident Rainer Reichhold. „Der konkrete Umsetzungsplan der Maßnahmen und die finanzielle Unterfütterung sind ausschlaggebend für ein erfolgreiches Wiederanlaufen der Wirtschaft. Der Abbau struktureller Defizite, die aufgrund der Corona-Krise offensichtlich geworden sind, wie zum Beispiel Digitalisierungsrückstände, bürokratische Überregulierungen und der barrierefreie Zugang zum Binnenmarkt, müssen deutlich verbessert werden.“
BWIHK-Präsident Wolfgang Grenke ergänzt: „Die EU ist und bleibt für die baden-württembergische Wirtschaft die wichtigste Handelsregion. Daher ist ein reibungslos funktionierender Binnenmarkt gerade jetzt essenziell für den Weg zurück zu wirtschaftlichem Wachstum und vorheriger Stärke. Insbesondere die Anpassung und Vereinfachung der Entsenderichtlinie und eine insgesamt mittelstandsfreundliche, praxisnahe Umsetzung der Binnenmarktregeln sollte für den Neustart im Fokus stehen wie auch ein entsprechendes Abkommen mit Großbritannien.“
Sparkassenpräsident Peter Schneider hat die Regulierung im Blick: „Damit Sparkassen und Banken gerade in Krisenzeiten möglichst viele Kredite vergeben können, muss die Regulierung deren Leistungsfähigkeit fördern und nicht bremsen. Zwar hat die Aufsicht zu Beginn der Corona-Krise schnell viele krisenverschärfende Vorschriften gelockert, aber jetzt brauchen wir die Gewissheit, dass diese Erleichterungen langfristig gelten, und offensichtlich unnötige Vorschriften gar nicht mehr in Kraft treten. Dafür ist auch die europäische Ebene wichtig und da ist es gut, dass wir beim Wirtschaftsgipfel direkt mit Entscheidern in Brüssel sprechen.“
Andreas Torner, Vorstand des Bankenverbands Baden-Württemberg, ergänzt: „Unser dringendstes Anliegen ist die Aussetzung der Bankenabgabe für 2020. Allein in Deutschland hatten die Banken knapp 2 Milliarden Euro an den Single Resolution Fund gezahlt. Auf Europa gerechnet sprechen wir über ein mögliches zusätzliches Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro. Ebenso wichtig ist die Gleichstellung der steuerlichen Abzugsfähigkeit dieser Bankenabgabe. Zur Begleichung dieser müssen deutsche Banken zusätzlich 900 Millionen Euro Ertragssteuer entrichten. Bei Gleichbehandlung innerhalb des Euroraumes könnten die Banken in Deutschland ihr Eigenkapital hierdurch um über 500 Millionen Euro stärken.“
Weitere Informationen zum Wirtschaftsgipfel
Der „Wirtschaftsgipfel Baden-Württemberg – EU 2020“ ist eine jährliche Leitveranstaltung des Wirtschaftsministeriums und der baden-württembergischen Wirtschaft in Brüssel. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Wirtschaftsgipfel dieses Jahr digital durchgeführt. In diesem Format erörterte die Wirtschaftsministerin am 28. und 29. Mai 2020 in vier Gesprächsrunden, die live im Internet gestreamt wurden, mit hochrangigen Vertretern der EU-Kommission und der baden-württembergischen Wirtschaft Strategien zur Wiederbelebung der Wirtschaft.
Die EU-Kommission wurde vertreten durch EU-Kommissar Thierry Breton, Michael Hager (Kabinettschef des Exekutivvizepräsidenten Valdis Dombrovskis), Jean-Eric Paquet (Generaldirektor der GD Forschung und Innovation) und Kerstin Jorna (Generaldirektorin der GD Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU). Die Südwest-Wirtschaftsverbände wurden vertreten durch Dr. Stefan Wolf (Südwestmetall Baden-Württemberg), Wolfgang Grenke (Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag), Rainer Reichhold (Baden-Württembergischer Handwerkstag), Dr. Roman Glaser (Baden-Württembergischer Genossenschaftsverband), Peter Schneider (Sparkassenverband Baden-Württemberg) und Andreas Torner (Bankenverband Baden-Württemberg). Darüber hinaus nahm der Leiter der Bosch Forschung, Prof. Dr. Thomas Kropf, an den Diskussionen teil.
Das Programm und den Link zur Online-Übertragung am 28. und 29. Mai
Im Nachgang können Sie die Diskussionen sowie Videos zu einzelnen Fokusthemen ab dem 2. Juni auf den Seiten des Wirtschaftsministeriums finden.